Rein etymologisch stammt der Ausdruck „pilgern“ aus dem Lateinischen (peregrinus, peregrinari) und meint das Unterwegssein in der Fremde, im Ausland. Der Ausdruck „wallfahren“ hingegen stammt vom Begriff „wedeln“, unstet hin- und herbewegen, oder auch vom Begriff „wandeln“ im Sinne des Auf- und Abgehens. Im Mittelalter wird „wallfahren“ zur direkten Übersetzung des Wortes „peregrinari“ – die beiden Begriffe sind also inhaltsgleich und werden nicht unterschieden.
Anthropologisch ist es absolut unerheblich, ob jemand in der Gruppe oder allein zu Fuß geht. Die entscheidenden inneren Prozesse laufen völlig gleich ab. Selbst auf einer Wallfahrt, die ein technisches Verkehrsmittel nützt, können dieselben Prozesse angestoßen und begleitet werden – wenn auch in verminderter Intensität. Immer muss der Mensch seine vertraute Umgebung verlassen, sich auf den Weg machen, sich auf fremde Menschen und eine fremde Umgebung einlassen, einem Ziel entgegengehen, dort sich selbst ganz hingeben und neu empfangen.
Zudem ist eine Wallfahrt oder Pilgerfahrt nie (!) Sache eines Einzelnen. Auch wer alleine geht, steht in vielfältiger Gemeinschaft: Mit anderen Einzelgängerinnen und Einzelgängern, denen er begegnet. Mit Gastgeberinnen und Gastgebern, auf die er unweigerlich angewiesen ist. Mit der pilgernden Kirche, der er unterwegs und am Ziel begegnet.
Es gibt also weder einen sprachlichen noch einen sachlichen Grund für die Unterscheidung zwischen wallfahren und pilgern. Aber könnte man nicht trotzdem eine rein praktische Unterscheidung begründen, die dann zwar den etymologischen Begriffen nicht gerecht wird, aber eben praktisch zwischen Buswallfahrtsgruppen und Einzel-FußpilgerInnen unterscheidet?
Ich plädiere dringend gegen diese Unterscheidung. Wir sollten nicht so tun, als hätten Einzelwallfahrerinnen und -wallfahrer mit der Kirche entlang des Weges nichts zu tun. Nein, sie sind eingebettet in die große Gemeinschaft aller Gottsucherinnen und -sucher. Sie sind von dieser Gemeinschaft getragen und gehören dazu – ob sie das wahrnehmen und schätzen oder nicht.
Ebenfalls sollten wir nicht so tun, als sei der Weg zweitrangig und das Ziel allein wichtig – und folglich die Buswallfahrt gleichwertig zur Fußwallfahrt. Nein, der Weg bleibt ganz entscheidend – deswegen sollten auch Bus-, Zug- oder Flugwallfahrten sich dem Ziel langsam nähern, um einen inneren Weg, eine innere Vorbereitung auf die Ankunft am Wallfahrtsort zu ermöglichen. Wer morgens nach Lourdes hinfliegt und am Abend zurück, der wird umsonst unterwegs sein.
Schließlich muss klar bleiben, dass für körperlich gesunde und gehfähige Menschen die Wallfahrt mit den modernen Verkehrsmitteln immer zweite Wahl bleibt. Das Beten mit den Füßen ist nicht durch das Beten im bequemen Sitz des Busses oder Flugzeugs zu ersetzen. Wenn der gesamte Mensch leibhaftig betet, geht das Gebet unter die Haut, werden alle Mühen, Anstrengungen, aller Schweiß zum Gebet.
Ich würde also von einer „Gruppenwallfahrt“ oder einer „Einzelwallfahrt“ reden, vom „Pilgern in Gemeinschaft“ und vom „Pilgern allein“. Aber pilgern und wallfahren sollte man nicht unterscheiden.