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Von Professor Dr. Michael Rosenberger

Ist es sinnvoll, einen „eingeschlafenen" Wallfahrtsort wiederzubeleben?

Das eindrucksvollste Beispiel für die Wiederbelebung einer Wallfahrtskirche dürfte der Wiederaufbau der kleinen Portiuncula-Kapelle durch Franz von Assisi sein. Das mittelalterliche Kirchlein, dessen legendarische Ursprünge bis ins 5. Jahrhundert zurückreichen, war zu Lebzeiten des Franziskus völlig verfallen. Wie zwei andere Kirchen renovierte es Franz auf Grund eines Auftrags des Gekreuzigten: „Franz, bau meine Kirche wieder auf!" Weil die Portiuncula dann zum Zentrum des Franziskanerordens wurde und weil dort auch sein Gründer starb, wurde sie zu einem europaweiten Wallfahrtszentrum. Der berühmte „Portiuncula-Ablass", der Franziskus vom Papst gewährt wurde, tat ein Übriges für die Popularität der Wallfahrt. So wurde im 16. und 17. Jahrhundert über der win-zigen Kapelle die gewaltige Kirche Santa Maria degli Angeli gebaut, um die Heerscharen von Pilgerinnen und Pilger zu fassen.

Es kann also durchaus gelingen, eine einmal „eingeschlafene" Wallfahrt wiederzubeleben. Dafür braucht es zwar eine charismatische Persönlichkeit wie Franziskus oder einen günstigen Moment (Kairos). Aber es gelingt viel öfter als man denkt. Viele der heutigen Wallfahrtsorte sind während der Reformation im 16. und/oder während der Aufklärung im 18. Jahrhundert mehr oder weniger sanft zum „Einschlafen" gebracht worden. Und doch wurden sie während der Gegenreformation bzw. während der Romantik zu neuem Leben erweckt. Das Pilgern scheint Urbedürfnisse des Menschen zu erfüllen – es ist nicht totzukriegen. Schon gar nicht auf Befehl von oben.

Die Frage lautet aber nicht, ob es möglich, sondern ob es sinnvoll ist, einen eingeschlafenen Wallfahrtsort wiederzubeleben. Da kann ich nur sagen: Das hängt davon ab! Hier würde ich erstens sehr „weltlich" überlegen, nämlich in Gestalt einer „Marktanalyse" des „spirituellen Marktes" der Region: Welche Pfarreien der Region haben noch keine regelmäßige Wallfahrt zu einem anderen Wallfahrtsort? Welche drängenden Themen und Anliegen finden im weiteren Umfeld noch nicht genügend Platz, so dass der Wallfahrtsort sich ihrer annehmen könnte? Welches personelle Angebot können wir bieten, das anderswo nicht schon besser gemacht wird? Inspirierend kann zweitens auch ein Blick in die Geschichte sein: Wofür stand der Wallfahrtsort in der Zeit, als er noch lebendig genutzt wurde? Welche Botschaft brachte er damals den Menschen nahe, zum Beispiel durch das Gnadenbild oder das Patrozinium? Von wo kamen die Menschen und auf welchen Wegen? Ohne die Geschichte kopieren zu wollen kann sie doch wertvolle Anregungen für die Gegenwart geben.

Freilich: Die Wiederbelebung einer Wallfahrt lässt sich nicht „machen". Wer einen Generalplan entwirft, mit dem er einen Wallfahrtsort allein durch spirituelles Marketing oder pastorale Konzepte wiederbeleben möchte, wird Schiffbruch erleiden. Sorgfältige, ja professionelle menschliche Planung und Überlegung braucht es auch. Sie ist die unverzichtbare Wegbereitung für das innere Geschehen, das Pilgernde antreibt. Bewegt werden Wallfahrerinnen und Wallfahrer jedoch aus dem Innersten ihres Herzens. Und dort kann nur einer den Impuls geben:

„Wenn nicht der Herr das Haus baut, ist alles umsonst gebaut.
Wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, ist alles umsonst bewacht.
Umsonst, dass ihr aufsteht in aller Herrgottsfrühe
und Feierabend macht kurz vor dem Einschlafen,
und noch schnell ein hartes Brot hinabschlingt,
denn: den Seinen gibt's der Herr im Schlaf."
(Psalm 127 in der Übersetzung von Arnold Stadler)

Man muss die Zukunft einer Wallfahrt also gelassen kommen lassen. Wenn es sie gibt, kommt sie von selbst. Und wenn es sie nicht gibt, kann man sie auch nicht herstellen. Dann gilt es der Botschaft des Evangeliums auf andere Weise zu vertrauen: Dass etwas sterben darf, um in anderer Gestalt und an anderem Ort wieder aufzuerstehen. Wenn die Pilgerzentren der Zukunft sich an anderen Orten befinden als die der Vergangenheit – was soll daran falsch sein?