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Eine Antwort von Professor Dr. Michael Rosenberger

Kann man auch alleine pilgern?

Die traditionellen Wallfahrten, wie wir sie seit einigen Jahrhunderten kennen, sind Gruppenveranstaltungen. Da gibt es den Wallfahrtsführer, der oft ein strenges Regiment führt (was besonders bei großen Gruppen von hunderten Menschen unumgänglich ist). Da gibt es eine straffe Organisation, was die Verteilung der Quartiere, die Zeiten des Ausruhens und Essens, aber auch das spirituelle Programm des Betens angeht. Ein „räudig Schäflein“, das sich diesem Regiment nicht fügt, kann schnell zu Sanktionen verdonnert werden, wenn es auch heute nicht mehr „seitwärts durch den Wald“ laufen muss, wie das Viktor von Scheffel im Frankenlied formulierte.

Wer vor allem oder ausschließlich solche Wallfahrten kennt, mag leicht daran zweifeln, dass man auch alleine pilgern kann. Doch ist das prinzipiell durchaus möglich. Natürlich braucht das Pilgern allein eine weit höhere Selbstdisziplin: Sich selber einen geregelten Tagesablauf zu geben und ihn einzuhalten; sich selber ein spirituelles Programm vorzunehmen und dann auch durchzuführen; sich selber motivieren auch dann, wenn es Schwierigkeiten und Hindernisse, Erschöpfung und körperliche Schmerzen gibt; das erfordert zweifelsohne ein hohes Maß an innerer Festigung und Konsequenz als wenn man in der Gruppe mittrotten kann und ein Programm „konsumiert“. Aber es geht! Die vielen Einzelpilgerinnen und -pilger auf dem Jakobsweg, die oft mit großer Ernsthaftigkeit und intensiver innerer Wachheit unterwegs sind, beweisen, dass das möglich, ja auch sinnvoll und sogar geboten sein kann. Mancher Jakobspilger würde aus einer Wallfahrtsgruppe mit ihren festen Regeln vermutlich schnell ausbrechen und zum „räudigen Schäflein“ werden.

Aber sind Einzelpilgerinnen und -pilger wirklich so allein unterwegs, wie es den Anschein hat? Immerhin wählen sie ja bewusst Wege, die schon viele vor ihnen gegangen sind und viele mit ihnen gehen. Zumindest in der Wahl des bewährten Pilgerwegs reihen sie sich in die große Gemeinschaft aller Pilgernden ein. Auch werden sie sich normalerweise für die Begegnungen entlang des Weges offen zeigen – am Abend in den Pilgerherbergen, tagsüber im Gehen eines Wegstücks mit einem fremden Mitpilger oder im kurzen Innehalten, um ein paar Sätze mit Menschen am Weg zu wechseln. Pilgerinnen und Pilger sind nicht allein. Sie nehmen die Gastfreundschaft der Menschen und Pfarreien entlang des Weges oft dankbar an. Sie erfahren, was es heißt, von vielen fremden Menschen getragen zu werden. Sie genießen die Hilfsbereitschaft Einheimischer, wenn sie den Weg nicht finden oder eine Apotheke brauchen. Und sie spüren auch die Geschwisterschaft mit anderen Pilgern, mit denen sie sich da und dort über ihre Erfahrungen austauschen und womöglich sogar Freundschaft schließen, die über die Zeit der Wallfahrt hinaus bestehen bleibt.
Wirklich allein ist also auch der allein Pilgernde nicht. Er geht zwar sein Tempo, seinen Rhythmus, hat sein individuelles Tagesprogramm und ist an keine feste Gruppe gebunden. Aber er ist eingebettet in die große Gemeinschaft aller Pilgernden auf diesem Weg und all jener, die entlang des Weges Hilfe und Gastfreundschaft gewähren. Vielleicht wird er sie in sein Gebet einschließen. Vielleicht wird er ihnen ein wenig von der Liebe und Freude zurückschenken, die er von ihnen empfangen hat. Vielleicht wird er ein Leben lang Verbindung halten.

„Ein Christ ist kein Christ“, hat der heilige Augustinus einmal gesagt. Allein lässt sich der Glaube nicht leben, er braucht die Gemeinschaft. „Ein Pilger ist kein Pilger“, so könnten wir leicht abgewandelt sagen. Allein kann niemand dem großen Weg der Sehnsucht folgen. Doch keine Sorge: Auch wer alleine aufbricht, wer sich mutterseelenallein auf den Weg macht, wird schnell Gemeinschaft und Geborgenheit finden. Denn der Weg der Suche nach Gott führt Menschen zusammen, die das nie geglaubt hätten, wenn man sie zuvor gefragt hätte.