In Deutschland liegt die Inzidenz heute bei 64 in Österreich bei 53 – und täglich schrumpft der Wert weiter. Allerdings nicht mehr lange – denn die Öffnungen dieser Woche werden den Rückgang der Inzidenzen spürbar bremsen. Das werden wir in ein bis zwei Wochen sehen.
Rein mathematisch lässt sich das gut erklären. In den Hochzeiten der Pandemie lag die Reproduktionsrate schlimmstenfalls bei 1,5, meistens aber zwischen 0,9 und 1,1. Zur Erinnerung: 1,1 bedeutet, dass zehn Infizierte elf weitere Menschen anstecken, dass also die Zahl der Infizierten wächst, und 0,9 bedeutet, dass zehn Infizierte nur neun weitere Menschen anstecken und die Zahl der Infizierten schrumpft. Schon dieser scheinbar kleine Unterschied zwischen 0,9 und 1,1 ist innerhalb weniger Wochen gewaltig, weil die Rechnung exponentiell verläuft. Deswegen die Rede von den „Wellen“ der Pandemie.
Derzeit sind etwa 40 von 100 Menschen mindestens einmal geimpft. Diese Erstimpfung hat eine Wirksamkeit von annähernd 90 Prozent. 36 von 100 Menschen, die vor Impfbeginn angesteckt worden wären, werden also jetzt nicht mehr angesteckt. Das heißt, dass die Reproduktionsrate, wenn sie vorher 1,1 betrug, um 36 Prozent von 1,1 fällt, also um ungefähr 0,4. Statt 1,1 beträgt sie nur noch 0,7, und etwa dort liegt sie derzeit auch. Allerdings sind in dieser Woche viele Betriebe wieder geöffnet worden, Gaststätten, Hotels, Sporteinrichtungen, in Österreich haben sogar die Schulen wieder Vollbetrieb (und wie sonst auch keine Pfingstferien!). Wenn wir durch all diese Maßnahmen die Reproduktionsrate um maximal 0,2 erhöhen, wird es gut gehen. Denn dann bleibt sie trotz der Öffnungen unter 1,0 – und das muss das Ziel sein. Wenn wir aber leichtsinnig werden, schnellt die Reproduktionsrate trotz der weiter zunehmenden Zahl an Geimpften wieder über 1 – und sei es auch nur geringfügig. Dann haben wir den Salat, besser gesagt eine vierte Welle, und müssen viele Öffnungen zurücknehmen.
Manche werden in den Medien wahrgenommen haben, dass das Land Niedersachsen gestern das Ende der Maskenpflicht verkündete und nur wenige Stunden später wieder zurücknahm. Das war völlig absurd! Die Landesregierung hätte vorab nur ein einziges Mal ihre MathematikerInnen fragen sollen (in Göttingen haben sie mit die besten im deutschen Sprachraum sitzen!), dann hätte sie gewusst, dass das zu früh ist. Gottlob haben andere PolitikerInnen mitgedacht und die Niedersachsen gebremst. Analog hatte in Österreich Bundeskanzler Kurz eine baldige Aufhebung der Maskenpflicht ins Gespräch gebracht – und ist sofort vom neuen Gesundheitsminister Mückstein zurückgepfiffen worden. Das sei zum jetzigen Zeitpunkt eindeutig zu früh. Zwar zweifle ich an Mücksteins eigener Prognose, wir würden noch bis Herbst oder Winter Masken tragen müssen, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist ihre Aufhebung jedenfalls noch nicht angebracht.
Also: Bleiben wir vorsichtig. Wie gesagt war die Reproduktionsrate in den schlimmsten Zeiten bei 1,5 – und das trotz einiger Kontaktbeschränkungen. Ohne solche Beschränkungen wäre sie über 2 gelegen. Und genau aus dieser Rechnung ergibt sich (unter Einrechnung eines Sicherheitszuschlags) der Wert für die sogenannte „Herdenimmunität“. Angeblich liegt sie bei 70 Prozent Geimpften – das würde eine „natürliche“ Reproduktionsrate des Virus (ohne alle Maßnahmen) zwischen 2 und 3 bedeuten. Von 40 Prozent einmal Geimpften bis 70 Prozent zweimal Geimpften haben wir jedoch noch ein paar Monate zu gehen. Erst dann kann auf die meisten oder alle Beschränkungen verzichtet werden. Aber Woche für Woche werden einige weitere Beschränkungen wegfallen können – und das wird es uns erleichtern, die noch bestehenden zu ertragen.
An diesem Wochenende gedenkt der Jesuitenorden des 500-Jahr-Jubiläums der Bekehrung seines Gründers Ignatius von Loyola. Die Jesuiten haben dazu einen netten Kurzfilm (10 min.) produziert, der sehr nett und zugleich tiefgründig in das Leben des Ignatius einführt: https://www.katholisch.de/artikel/29927-vom-macho-zum-moench-kurzfilm-ueber-bekehrung-des-ignatius-von-loyola . Nachdem die Pfingsttage eher verregnet ausfallen werden, könnte das eine sinnvolle Beschäftigung sein.
Passend zum Abschluss der Osterzeit lesen wir heute das letzte der Osterevangelien:
Aus dem Evangelium nach Johannes
21, 15 Als sie gegessen hatten, sagte Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich mag. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Lämmer! 16 Zum zweiten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich mag. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe! 17 Zum dritten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, magst du mich? Da wurde Petrus traurig, weil Jesus ihn zum dritten Mal gefragt hatte: Magst du mich? Er gab ihm zur Antwort: Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich mag. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe!18 Amen, amen, ich sage dir: Als du jünger warst, hast du dich selbst gegürtet und gingst, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst. 19 Das sagte Jesus, um anzudeuten, durch welchen Tod er Gott verherrlichen werde. Nach diesen Worten sagte er zu ihm: Folge mir nach!
Die in mühevoller Kleinarbeit überarbeitete und seit 2016 amtliche Einheitsübersetzung enthält viele textliche Verbesserungen. Das vorliegende Evangelium habe ich aber verändert, weil es in der überarbeiteten amtlichen Version dem griechischen Urtext absolut nicht mehr entspricht. Der Text spielt nämlich mit dem Unterschied zwischen griechisch Agape, Nächstenliebe, und griechisch Philia, Sympathie oder Freundschaft. Ich habe deshalb für die Agape das Wort „lieben“ und für die Philia das Wort „mögen“ verwendet.
Jesus stellt dem Petrus drei Fragen, aber bei genauem Hinsehen nicht dreimal dieselbe Frage, sondern drei verschiedene Fragen: Beim ersten Mal fragt er: „Liebst du mich mehr als diese?“ Wir können Petrus förmlich erröten sehen, denn im Vergleich seiner Liebe mit der der anderen Jünger sieht er sich nicht an erster Stelle. Schließlich war er es, der Jesus verleugnet hat. Und so antwortet er ausweichend und verlegen: „Du weißt, dass ich dich mag.“
Beim zweiten Mal fragt Jesus bereits bescheidener: „Liebst du mich?“ Den Vergleich mit den anderen Jüngern lässt er weg, um dem Petrus entgegenzukommen. Doch auch dieser Frage weicht Petrus aus und antwortet wie beim ersten Mal: „Du weißt, dass ich dich mag!“
Schließlich lässt sich Jesus in seiner dritten Frage auf die Formulierung des Petrus ein und fragt: „Magst du mich?“ Und endlich kann Petrus so antworten, dass sein Ja keine Einschränkung mehr braucht: „Du weißt, dass ich dich mag!“
Man kann die Barmherzigkeit Jesu kaum schöner und diskreter beschreiben als in dieser Geschichte. Denn wer von uns könnte schon von sich behaupten, dass er Jesus wirklich liebt, womöglich sogar mehr als die anderen ChristInnen? Das wäre vermessen und arrogant und noch dazu vermutlich unzutreffend. Aber Jesus besteht nicht darauf, nicht einmal für den, der die Kirche anführt. Er ist bereit, sich mit dem Geringeren zufriedenzugeben, wenn wir nur ehrlich antworten. Und das dürfte doch vielen gelingen, dass wir sagen: „Jesus, ich mag dich! Du bist mir sympathisch, ich kann dich gut in meiner Nähe leiden, ich schätze dich als meinen Wegbegleiter!“
Vergleichen wir Petrus mit den anderen Personen in den Osterevangelien nach Johannes: Der Lieblingsjünger ist ein „Augenmensch“ – er sieht und glaubt (Nr. 76). Maria Magdalena ist ein „Ohrenmensch“ – sie hört und glaubt (Nr. 77). Thomas ist ein „Handmensch“ – er will berühren und glaubt sogar, ohne dass er berührt hat, allein auf Grund der Tatsache, dass er hätte berühren dürfen. Von einem jedoch erfahren wir nicht, welcher Menschentyp er ist: Simon Petrus. Er sieht (Nr. 76), hört, isst und trinkt (Nr. 80), dürfte berühren, wenn er wollte (Nr. 79) und glaubt doch nur, weil der Lieblingsjünger ihn schubst. Von allen vier Persönlichkeiten ist er der schwächste, der, der die Hilfe der anderen am meisten braucht.
Einem so schwachen Menschen, der die echte, uneigennützige Liebe zu Christus nicht aufbringt, eben dem Simon Petrus, gibt der Auferstandene den Auftrag der Hirtensorge: „Weide meine Schafe!“ Das mahnt uns, von den Hirten der Kirche heute nicht mehr zu verlangen als der Herr. Nach Johannes brauchen sie eigentlich „nur“ vier Eigenschaften: Keine steile Hierarchie zu praktizieren, also nicht zu befehlen, sondern durch ihr Vorbild zu werben („ich gehe fischen“); auf die LieblingsjüngerInnen unserer Tage zu hören und deren Wort zu befolgen („Es ist der Herr!“); diesen Jesus zu mögen, ihm emotional verbunden zu sein („Magst du mich?“); und sich von ihm führen lassen, wohin ER will und nicht, wohin wir wollen („ein anderer wird dich führen, wohin du nicht willst!“). Es wäre großartig, wenn diese vier Kriterien die Auswahl der Bischöfe und Priester leiten würde. Dann könnte das Kriterium des Geschlechts ebenso wegfallen wie andere Kriterien, die derzeit vornedran stehen… Und das wäre tatsächlich Wirken des Heiligen Geistes!
Ich wünsche Ihnen/ euch allen ein frohes und bewegendes Pfingstfest, das seine Kraft weit über den morgigen Tag hinaus in unseren Herzen entfacht!
Michael Rosenberger