Liebe Pilgernden in Zeiten der Pandemie,
so, jetzt sind wir in Österreich also im harten Lockdown angekommen und müssen uns wieder intensiv mit den eigenen vier Wänden vertraut machen. Danke sage ich vorab zur persönlichen Beantwortung schon einmal all jenen, die mir auf meine letzte Rundmail teils sehr ausführliche Erzählungen aus dem eigenen Erleben dieser Zeit geschickt haben. Es ist großartig zu sehen, wie viel Kreativität im Umgang mit den nötigen Beschränkungen entsteht und wie gut die meisten mit den Herausforderungen dieser Zeit zurechtkommen – so sehr wir uns auch alle nach dem Ende der Pandemie sehnen.
In den letzten Tagen wurde vermehrt die Frage gestellt, warum andere Länder besser durch die Krise kommen als die Staaten der Europäischen Union. Gemeint ist dabei nicht China, das die totale Überwachung etabliert hat, sondern die demokratischen Staaten des Fernen Ostens, also Südkorea, Japan und Taiwan – und in der Europäischen Union Finnland. Deren niedrige Infektionszahlen sind einfach ein Traum. Das Interessante ist: Keines dieser Länder erreicht seine Erfolge durch harte Strafen oder durch Zwang. Es genügt, dass die Regierung das Maskentragen empfiehlt – und alle, aber wirklich alle tragen Masken. Es genügt, dass die Regierung eine Quarantäne für Kontaktpersonen verordnet, und die Betroffenen sehen das als ihren freiwilligen Beitrag zur Krisenbewältigung an, sich daran zu halten. Es genügt, dass die Regierung die Verwendung der Corona-Warn-App auf dem Handy empfiehlt, und schon tun das fast alle (und stellen dafür Datenschutzbedenken vorübergehend zurück). Kein Jammern und Maulen, sondern zustimmende Freude, dass man etwas für die Gemeinschaft tun kann. Die fernöstlichen Demokratien haben da offensichtlich eine andere Lebenskultur: Mehr Disziplin, mehr Bereitschaft, sich der Gemeinschaft unterzuordnen, weniger Anspruch auf die Verwirklichung eigener Interessen. Zum Vergleich: Eine Untersuchung in Großbritannien ergab, dass dort zwar 70% der Menschen die Quarantäne befürworten, aber nur 18% sie einhalten, wenn es sie selber betrifft. Unter WissenschaftlerInnen geht man davon aus, dass das in weiten Teilen Westeuropas ähnlich sein dürfte.
Nun ist Kultur etwas, das über Jahrhunderte wächst und sich nicht kurzfristig ändern lässt. Aber umso mehr müssen wir fragen: Wie bringt man jemanden dazu, etwas zu tun, was man von ihm erwartet? Üblicherweise würden wir sagen: Indem man es ihm erklärt und ihm begründet, warum das sinnvoll ist. Also mit Argumenten, die der Andere einsieht. Dummerweise handeln wir aber nicht immer vernünftig. Obwohl wir etwas einsehen, tun wir es nicht – siehe Quarantäne. Weil es uns schwerfällt. Weil die anderen es auch nicht tun. Weil wir es uns anders angewöhnt haben. Ober aus anderen Gründen. Es gibt tausend psychologisch gut erklärbare Ursachen dafür, dass wir nicht das tun, was wir als vernünftig erkennen. Und mitunter basteln wir uns dann abstruse Argumente zusammen, mit denen wir das eigentlich Unvernünftige als vernünftig darzustellen versuchen. Ganz ehrlich, in so einer Situation muss man dann schon mal über sich selber lachen, oder? Jedenfalls wenn man genügend Humor hat…
Das ist auch in der Corona-Krise so. Ein Teil der Menschen tut nicht, was die durchaus gut begründbaren, vernünftigen Corona-Regeln fordern. Und dann werden die tollsten Theorien zusammengebastelt, mit denen sich Maskenverweigerer oder andere zu rechtfertigen suchen. Angesichts dessen hilft es absolut nichts, ihnen noch mehr Argumente vorzuhalten – sie sind dafür nicht empfänglich. Man redet gegen eine Wand. Zwei Dinge aber funktionieren: Strafen, sozusagen die Hammermethode. Und das, was wir neudeutsch „Nudging“ nennen, „Schubsen“. Der Begriff kommt von der Beobachtung der Elefanten. Wenn ein Elefantenbaby aus der Reihe tanzen will und sich damit in Gefahr bringen würde, schubst es die Elefantenmutter mit ihrem Rüssel, damit es auf dem richtigen Weg bleibt. Da werde ich richtig neidisch auf die Elefanten, die einen Rüssel haben. So leicht können wir das nicht.
Prinzipiell können wir Menschen das Nudging aber auch. Wenn es auch ein bisschen komplizierter ist als bei den Elefanten. Es hat Vor- und Nachteile. Einerseits ist es sanfter als polizeiliche Überwachung und Strafen, ja oft bleibt es sogar „unsichtbar“ – man merkt gar nicht, dass man geschubst wird. Andererseits ist Nudging paternalistisch (oder vielleicht besser maternalistisch, weil das die Elefantenmütter machen), bevormundend und hintenrum. Die offene Auseinandersetzung wird umgangen, der Geschubste wird wie ein kleines, unreifes Kind behandelt. Weil wir uns eben fast alle manchmal wie kleine Kinder benehmen…
In der ZEIT fand sich vor drei Wochen ein außerordentlich lesenswerter Artikel zum Nudging in Corona-Zeiten: Markus Rohwetter, Benimm dich, Bürger! In: DIE ZEIT vom 29.10.20, 21-22. Der Autor erzählt darin von vielen Beispielen erfolgreichen Nudgings aus anderen Bereichen: Wenn man die Rasenflächen in Stadtparks mit Bodenwellen ausstattet und Bäume mitten hineinpflanzt, um dort das Fußballspielen zu unterbinden. Wenn man unter Brücken Steinbeete anlegt, damit dort keine nächtlichen Partys stattfinden und keine Obdachlosen campieren. Wenn man Hausfassaden, gegen die in der Vergangenheit oft gepinkelt wurde, mit einem wasserabweisenden Lack beschichtet, so dass der Urin kräftig auf den Verursacher, seine Schuhe und seine Hose zurückspritzt. Oder wenn man in das Keramikbecken der Männerpissoirs das Bild einer Fliege hineinbrennt, so dass die Männer beim Pinkeln auf die Fliege zielen und dabei ganz zufällig in das Pissoir treffen und nicht nebendran. Schließlich wenn in Japan die Bahnhöfe des Nachts alle blau beleuchtet werden, weil das die Suizidrate im Eisenbahnbereich nachgewiesenermaßen um 85% senkt (Japan hat eine der höchsten Suizidraten weltweit).
All das sind Beispiele höchst erfolgreichen Nudgings. Sie funktionieren verblüffend gut. Dennoch werden wir womöglich nicht alle damit erreichten Ziele gleich sinnvoll finden. Wenn es in der Nähe des Stadtparks keinen Fußballplatz gibt, wo sollen die Jugendlichen sich dann sportlich austoben? Wenn man den Obdachlosen auch noch die Schlafmöglichkeit unter der Brücke nimmt, wohin sollen sie dann gehen? Da sind die Beispiele zum Pinkeln vermutlich weniger umstritten, auch weil sie ein wenig augenzwinkernd daherkommen, und das blaue Licht der japanischen Bahnhöfe finden wir vermutlich alle ziemlich genial, weil es so positive Wirkungen hat.
Bei Corona könnte es ähnlich sein. Gäbe es ein Nudging, das uns generell daran hindert, einander zu besuchen, fänden wir das vermutlich ziemlich fehl am Platz. Aber wenn es eines gäbe, das Menschen dazu bringt, die Maskenpflicht einzuhalten oder auf Corona-Parties zu verzichten, dann würden wir das vermutlich begrüßen. Wenn es dann noch ein bisschen humorvoll daherkäme wie die Fliege im Pissoir, wäre es perfekt. Das Problem ist allerdings: So gut der Artikel von Markus Rohwetter in der Darstellung des Nudging an sich ist, so wenig Beispiele hat er für die Anwendung in der Corona-Krise, nämlich keine. Obwohl das seine Ausgangsfrage ist, gibt er auf sie keine Antwort.
Daher meine Frage: Wer hat Ideen für ein Nudging zum Maskentragen, zum Abstandhalten, zum Verzicht auf Superspreader-Events? Vielleicht eine nette Karikatur, die man an die Wände öffentlicher Gebäude hängen könnte, oder irgendeine andere Form, die humorvoll und zugleich motivierend ist. Ich bin gerne bereit, die Ideen zu sammeln, in einigen Wochen in einer Rundmail zu veröffentlichen und, wenn sie richtig gut sind, an die Politik weiterzuleiten. Die würde euch/ Ihnen um den Hals fallen (natürlich ganz regelkonform erst nach Ende der Pandemie!).
Für heute aber grüßt euch/ Sie alle ein in Bezug auf gutes Corona-Nudging leider (noch) ratloser
Michael Rosenberger