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Pilgern durch die Coronakrise - 25. März 2020

Liebe Mitpilgernde auf dem Weg durch die Coronakrise,

zunächst ein technischer Hinweis: Am Wochenende habe ich meinen Mail-Verteiler überarbeitet. Denn am Freitag hatte er die Kapazitätsgrenze des Servers überschritten – die Liste der Adressen war zu lang geworden. Ich habe daher drei Dinge getan: Bei (Ehe-) Paaren habe ich Doppeladressen beider Partner auf eine Adresse reduziert – ich gehe davon aus, dass der Austausch hier auch in diesen Zeiten keine größeren Hürden setzt. Außerdem habe ich, weil sich bei mir etliche Interessierte gemeldet haben, die ich nicht auf der Liste hatte, aus einem Verteiler zwei gemacht, so dass sich nun meine Versandkapazitäten erhöht haben. So konnte ich drittens noch eine weitere Adressen aus meinem eigenen Verzeichnis aufnehmen, die zuvor nicht im Verteiler waren. – Einige haben mich auch gefragt, ob sie meine Mails an ihre Bekannten weiterleiten dürfen. Natürlich gerne! Ich freue mich, wenn möglichst viele Menschen gut durch diese Zeit gelangen und sie nicht nur als Last, sondern auch als Chance begreifen können.

Als ich am Samstagmorgen meine Einkäufe auf dem zu dieser Uhrzeit noch menschenleeren Südbahnhofmarkt gemacht habe, erzählte mir mein Käseverkäufer, dass er so langsam die steigende Aggression und Gereiztheit der Menschen spüre. Was am Anfang noch mit sportlichem Ehrgeiz und Humor angenommen worden sei, werde langsam für viele zu einem lästigen Ärgernis. Noch könne er zwar die Konflikte gut deeskalieren, aber wie lange wohl noch? 

Die Erfahrungen des Käsehändlers sind symptomatisch. In den Medien wird verstärkt auf Frauenhäuser als Zufluchtsorte vor steigender häuslicher Gewalt hingewiesen, Telefonhotlines verstärken ihr Angebot. In Zeiten des Eingesperrt-Seins wächst die Aggressivität. In der Tierhaltung können wir das jeden Tag beobachten: Rindern werden die Hörner abgenommen, Schweinen die Schwänze kupiert, Hühnern die Schnäbel gekürzt – alles, weil sie auf zu engem Raum zusammengepfercht sind und ihre Aggression gegeneinander richten. Aber anstatt die Ursachen zu beseitigen und ihnen mehr Platz und überschaubare Sozialverbände zu geben, reduzieren wir nur die Symptome.

Krisenzeiten kehren das Beste im Menschen hervor – nie gab es so viel Hilfsbereitschaft und Solidarität wie jetzt –, aber auch das Schlechteste. Aus diesem Grund ist es für Ignatius von Loyola absolut unverzichtbar, im Exerzitienprozess sofort nach dem „Prinzip und Fundament“, dass unser Leben wertvoll und von guten Mächten wunderbar geborgen ist (was wir letzte Woche betrachtet haben), auf die eigenen Unzulänglichkeiten, Ecken und Kanten und die dunklen Seiten des eigenen Lebens zu schauen. Wer diesen Schritt überspringen will, wird irgendwann auf dem weiteren Weg viel härter und gnadenloser darauf zurückgeworfen. Es ist wie bei einem Würfelspiel, bei dem irgendwann ein Feld kommt, auf dem es heißt: Wenn du nicht schon das und das getan hast, geh zurück auf Start!

Also: Damit wir nicht später in dieser Corona-Zeit zurück auf Start müssen, ist es gut, JETZT, in dieser zweiten Woche der unfreiwilligen Klausur, auf unsere Schwächen und Fehler zu schauen. Dann haben wir es hinter uns – aber nicht, um es hinter uns zu bringen, sondern um daraus zu lernen und daran zu reifen. Heute möchte ich dazu einladen, einfach einmal hinzuschauen. Noch nicht zu werten, weder überdramatisierend noch verharmlosend, noch nicht zu analysieren und nach den Wurzeln zu fragen („das habe ich halt von meinem Vater geerbt“), sondern einzig und allein wahrzunehmen – so genau wie möglich:

  • Wie reagiere ich auf die Belastungen und Einschränkungen dieser Zeit (und womöglich auch anderer KrisenZeiten)? Was ist meine Verarbeitungsstrategie von Aggressionen und Unzufriedenheiten?
  • Bin ich eher der Typ, der Aggressionen nach außen wendet und an anderen Menschen auslässt (an denen in meiner Umgebung oder an denen in der Ferne, z.B. den PolitikerInnen oder „den Chinesen“)? Oder wenden sich meine Aggressionen eher gegen mich selbst, indem ich sie in mich hineinfresse, depressiv werde, viel zu viel oder deutlich zu wenig esse, ja ggf. mich selbst verletze?
  • Reagiere ich meine Aggressionen eher körperlich ab oder eher mit Worten und geistig? Sind die Verletzungen, die ich mir oder anderen zufüge, eher körperlich oder eher psychisch?
  • Kann ich meine Strategie zur Bewältigung von Aggressionen ehrlich anschauen, vor mir selber zugeben? Und vor anderen? Kann ich darüber lachen, wenn jemand deswegen einen Witz über mich macht? Oder kann ich sogar selber einen Witz über meine Schwächen machen?

Wer will, kann seine Unzulänglichkeiten am Ende der Betrachtung Gott hinhalten mit einem Gebet, das Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis der Gestapo geschrieben hat, in klarer Erwartung seiner Hinrichtung. Viele werden es kennen – es lohnt sich, in diesen Tagen gebetet zu werden.

So grüßt euch/ Sie alle herzlich mit vielen guten Wünschen

Michael Rosenberger

Dein bin ich... (Dietrich Bonhoeffer)

Wer bin ich? Sie sagen mir oft

ich träte aus meiner Zelle

gelassen und heiter und fest

wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft

ich spräche mit meinen Bewachern

frei und freundlich und klar

als hätte ich zu gebieten.

Wer bin ich? Sie sagen mir auch,

ich trüge die Tage des Unglücks

gleichmütig, lächelnd und stolz,

wie einer, der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?

Oder bin ich das, was ich selbst von mir weiß?

Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,

ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,

hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,

dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,

zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,

umgetrieben vom Warten auf große Dinge,

ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,

müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,

matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?

Wer bin ich? Der oder jener?

Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?

Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler

und vor mir selbst ein verächtlichwehleidiger Schwächling?

Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,

das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?

Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.

Wer ich auch bin, du kennst mich, dein bin ich, o Gott!