Liebe Corona-Pilgernden am Beginn des Advents,
der Advent war schon immer die beste Zeit für Hausgottesdienste. Bis zur Verbreitung des Fernsehens saßen die Familien an den Adventsabenden ganz selbstverständlich zusammen, um zu singen und zu beten. Der reiche Schatz der Adventslieder und -bräuche ist ein eindrucksvolles Zeugnis dieser Zeit. Die Corona-Krise gibt uns eine neue Chance, diesen Schatz zu nutzen. Denn während in der Kirche derzeit nicht gesungen werden darf (Deutschland) oder sogar keine Gottesdienste stattfinden (Österreich), bleibt uns zuhause diese Möglichkeit unbenommen. Man darf singen so viel man will, und das kann befreiend sein!
Mit dieser Ermutigung zu Hausgottesdiensten im Advent verbinde ich den Impuls, auch für Weihnachten rechtzeitig eine häusliche Liturgie vorzubereiten. Die Diözese Linz hat dazu bereits kleine Heftchen an alle Haushalte ausgesendet. Im Internet gibt es reichliche Downloadmöglichkeiten. Und meinerseits werde ich am Tag vor dem Fest meine Predigt schriftlich versenden, damit man sie im familiären Weihnachts-Hausgottesdienst gemeinsam lesen kann! So können wir uns im Singen und Beten zuhause als mündige ChristInnen erleben, die wir durch Taufe und Firmung sind. Und zwar unabhängig davon, ob eine Teilnahme an einem Weihnachtsgottesdienst in der Kirche möglich ist oder nicht.
Meine Samstags-Gedanken werden sich im Advent an den alttestamentlichen Lesungen der Adventssonntage orientieren. Wer will, kann die Liturgie für den 1. Advent als ganze auf folgender Homepage finden: https://www.erzabtei-beuron.de/schott/schott_anz/index.html?datum=2020-11-29.
ERSTE LESUNG: Jes 63, 16b-17. 19b; 64, 3-7
Lesung aus dem Buch Jesaja
Du, Herr, bist unser Vater, „Unser Erlöser von jeher“ wirst du genannt. Warum lässt du uns, Herr, von deinen Wegen abirren und machst unser Herz hart, so dass wir dich nicht mehr fürchten? Kehre zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Eigentum sind. Reiß doch den Himmel auf, und komm herab, so dass die Berge zittern vor dir. Seit Menschengedenken hat man noch nie vernommen, kein Ohr hat gehört, kein Auge gesehen, dass es einen Gott gibt außer dir, der denen Gutes tut, die auf ihn hoffen. Ach, kämst du doch denen entgegen, die tun, was recht ist, und nachdenken über deine Wege.
Ja, du warst zornig; denn wir haben gegen dich gesündigt, von Urzeit an sind wir treulos geworden. Wie unreine Menschen sind wir alle geworden, unsere ganze Gerechtigkeit ist wie ein schmutziges Kleid. Wie Laub sind wir alle verwelkt, unsere Schuld trägt uns fort wie der Wind. Niemand ruft deinen Namen an, keiner rafft sich dazu auf, festzuhalten an dir. Denn du hast dein Angesicht vor uns verborgen und hast uns der Gewalt unserer Schuld überlassen. Und doch bist du, Herr, unser Vater. Wir sind der Ton, und du bist unser Töpfer, wir alle sind das Werk deiner Hände.
Wort des lebendigen Gottes
Dieser großartige Gebetstext hat, so wie er für die Liturgie zusammengeschnitten ist, zwei Teile: Während der erste dem Klagen und Flehen Raum gibt, ist der zweite von einem ausführlichen Schuldbekenntnis und der Bitte, ja der Beschwörung Gottes um Vergebung geprägt. Beide Teile verbindet, dass sie das Vertrauen in diesen fremden, rätselhaften und fernen Gott bekennen. All das passt gut in die Zeit der Pandemie. Wüsste man es nicht, könnte man denken, der Text sei eigens für die Corona-Zeit verfasst worden.
Der erste Teil hat einen doppelten Rahmen und eine Mitte. Den ersten Rahmen bildet das Bekenntnis zu Gott als Erlöser, das einerseits das trotz der schwierigen Zeit unerschütterliche menschliche Vertrauen ausdrückt, andererseits aber Gott „in die Pflicht nimmt“: Wenn er der Vater und Erlöser von jeher ist und denen Gutes tut, die auf ihn hoffen, dann soll er sich jetzt daran erinnern und zur Hilfe kommen. Er ist uns da etwas schuldig! – Den zweiten Rahmen bildet die Klage, eine Art des Betens, die in der Bibel weit verbreitet ist, aber in unserer gängigen Liturgie (außerhalb der Schriftlesungen) leider kaum vorkommt. Klage fragt „warum?“, und das ist dann schon fast eine An-Klage. Klage seufzt aber auch: „Ach, wenn du doch…“ und malt sich im Konjunktiv aus, wie schön es doch anders sein könnte. Klagen zu können kann ein Akt der Befreiung und Erleichterung sein. Klagen dient unserer Psychohygiene und entlastet uns. Klage ermöglicht es, das Bedrückende ins Wort zu bringen, es auszusprechen oder herauszuschreien.
Gerahmt vom Vertrauensbekenntnis und der Klage steht in der Mitte des ersten Teils jener Satz, der für uns so typisch adventlich klingt: „Reiß doch den Himmel auf, und komm herab!“ Wir empfinden den Himmel als verschlossen. Wir haben den Eindruck, Gott und seine Wirklichkeit nicht spüren zu können. Es kommt uns so vor, als wäre die Erde gottlos und fern allen Trostes und aller Ermutigung. Und da rufen wir inständig: Reiß auf und komm! Wir halten dem schweigenden Gott unsere Hilflosigkeit hin – und warten.
Der zweite Teil der Lesung gibt eine Antwort auf das „warum?“ aus dem ersten Teil. Diese Antwort lautet: Weil wir schuldig geworden sind. Das darf man heute nicht mehr im Sinne strikter Kausalität verstehen, so als wäre Corona die direkte Folge unserer Sünden. Erst recht nicht im Sinne eines beleidigten, launenhaft sich rächenden oder distanziert und kühl uns erziehenden Gottes. Vielmehr verstehe ich das so: Im Kontext der Not erkennen wir deutlicher als sonst unsere eigenen Sünden. Die Krise deckt unsere Defizite und Versäumnisse schonungsloser auf als der schläfrig dahintreibende Alltag. Es ist wie beim Tod eines nahen Menschen, der uns deutlicher als vorher erkennen lässt, was wir vielleicht hätten tun sollen und jetzt nicht mehr tun können. Wir sind es schuldig geblieben, es lässt sich nicht nachholen.
Wohl aber lässt sich das Versäumte vergeben. Es ist dann kein Grund für Vorwürfe oder Vorbehalte mehr. In diesem Sinne formuliert die Lesung abschließend das dritte Bekenntnis, das Gott in die Pflicht nimmt – diesmal als den Schöpfer und nicht als den Erlöser. Seine Liebe als Schöpfer sollte größer sein als die Schuld seiner Geschöpfe.
Inspiriert von dieser Lesung ist das bekannte Adventslied GL 231, dessen Text der große Jesuit Friedrich Spee geschrieben hat und der 1622 zuerst in Würzburg veröffentlicht wurde:
O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf,
reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloss und Riegel für.
O Gott, ein’ Tau vom Himmel gieß,
im Tau herab, o Heiland, fließ.
Ihr Wolken, brecht und regnet aus
den König über Jakobs Haus.
O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd,
dass Berg und Tal grün alles werd.
O Erd, herfür dies Blümlein bring,
o Heiland, aus der Erden spring.
Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,
komm, tröst uns hier im Jammertal.
O klare Sonn, du schöner Stern,
dich wollten wir anschauen gern;
o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein
in Finsternis wir alle sein.
Hier leiden wir die größte Not,
vor Augen steht der ewig Tod.
Ach komm, führ uns mit starker Hand
vom Elend zu dem Vaterland.
Euch/ Sie einladend, dieses Lied zuhause zu singen, wünsche ich einen gesegneten ersten Advent!
Michael Rosenberger