Liebe MitpilgerInnen durch diese besondere Fastenzeit,
wie jedes Jahr seit 1990 beginne ich heute, am Freitag vor Palmsonntag, zu fasten. Bis Karfreitag verzichte ich auf feste Nahrung und beschränke mich auf Früchtetee (mit Honig), Wasser, Obst- und Gemüsesaft sowie am Mittag eine klare oder leere Suppe. Etwa 15 Personen aus meiner Umgebung beteiligen sich daran und werden sich mit mir regelmäßig über Telefonkonferenzen austauschen. So sind wir eine feste Gemeinschaft, die untereinander gut verbunden ist – auch wenn keine realen Treffen in einem Saal stattfinden können. So wie ein gemeinsames Essen eine tiefe Verbindung untereinander herstellt, so auch ein gemeinsames Fasten. Es ist eine wunderschöne Weise, durch die Heilige Woche zu gehen, die am Palmsonntag beginnt.
Fasten schenkt (nach den ersten beiden Tagen der Eingewöhnung) eine außerordentliche Wachheit, eine tiefe innere Ruhe und eine große Zufriedenheit. Im Gehirn wird das Glückshormon Serotonin ausgeschüttet. So befördert das Fasten des Körpers die Prozesse der Seele, die in den Feiern der Heiligen Tage angestoßen werden.
Auf unserem Exerzitienweg geht es in dieser Woche um Unter- und Entscheidungen. Unterscheidungen zwischen wichtig und unwichtig, existenziell und peripher, unser Leben tragend oder nicht. Entscheidungen über die Lebensgestaltung in der Zeit nach der Krise. Am Montag haben wir unter dieser Hinsicht unser eigenes Leben betrachtet, am Mittwoch das Leben der Kirche. Heute möchte ich den Blick auf Gesellschaft und Politik lenken: Was muss sich in der Post-Corona-Zeit gesellschaftlich und politisch verändern? Die Antwort sollte drei Ebenen umfassen:
1) Die Ebene des Sozialen: In den letzten Wochen sind neue HeldInnen geboren worden: Menschen, die „systemrelevante Berufe“ ausüben. Krankenschwestern und Altenpfleger, Kassiererinnen und Lageristen im Supermarkt, Post- und Paketdienste, Müllwerker, aber auch ErntehelferInnen und ArbeiterInnen in den Schlachthöfen. Manchen aus diesen Gruppen wurden schon Corona-Boni zugesagt, handfeste Gehaltszulagen für ihren besonderen Einsatz, die der Staat wohl steuerfrei stellen wird. Für andere aus diesen Gruppen hat man das noch nicht gehört. Obwohl sich unser Blick geweitet hat, ist er noch immer relativ eng. Und denken wir bitte nicht zu klein! Systemrelevant sind auch die Näherinnen in Südostasien, die jetzt unsere Masken nähen. Deren Betriebe können es sich leisten, jetzt deutlich höhere Preise zu verlangen als noch vor ein paar Wochen. Aber werden die Näherinnen davon auch nur einen Cent sehen? Auch dafür müssen wir Verantwortung übernehmen. Im Grunde gilt es, all die Ungerechtigkeiten einer globalen Marktwirtschaft zu korrigieren, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind und deren Profiteure auch die meisten von uns waren und sind.
2) Die Ebene des Tierschutzes: Menschen, die Nutztiere halten, gelten plötzlich als systemrelevant. Die Nutztiere selber jedoch nicht. Im letzten Jahr hatte ich die Gelegenheit, in einer der großen landwirtschaftlichen Zeitungen des deutschen Sprachraums (TopAgrar, https://www.topagrar.com/) einen Gastkommentar zu schreiben. Darin habe ich einen „Mindestlohn für Tiere“ gefordert. Im Alten Testament erhalten die Tiere ähnliche Schutzrechte wie AsylantInnen, Waisen und Witwen. Davon haben wir uns mit der industriellen Tierhaltung weit entfernt. Es schreit zum Himmel, was wir den Tieren antun, nur damit wir uns täglich große Fleischportionen zum kleinen Preis leisten können.
3) Die Ebene des Umweltschutzes: Kardinal Schönborn hat am vorletzten Sonntag in einem ORF-Interview zurecht gemahnt, dass wir uns regelmäßige Urlaubsflüge rund um die Welt in Zukunft nicht mehr leisten sollten. Durch den globalen Massentourismus dreht sich die Welt immer schneller – und das kostet Unmengen an Treibhausgasemissionen. Warenströme und Arbeitsmigration wachsen analog immer weiter an. Gerade bezüglich der Mobilität brauchen wir ein deutliches Umsteuern: Langsamer, sanfter, gesünder und regionaler in Bewegung kommen. Es ist doch paradox, dass von Jahr zu Jahr mehr Menschen an Bewegungsmangel leiden.
Viele wenden derzeit ein: Lasst uns erst einmal die Coronakrise bewältigen und wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen, danach ist noch genug Zeit für ökosoziale Reformen. Aber so wird es nicht gehen. Die Reformen müssen JETZT beginnen, mitten in der Krise. Denn hinterher fallen wir wie von selbst in den alten Trott zurück. Also JETZT überlegen, wie wir uns ökosozial weiterentwickeln wollen. JETZT die Weichen dafür stellen, dass nach der Krise bestimmte Subventionen für umweltschädliches Verhalten gar nicht mehr gezahlt werden, sondern der Neuaufbau der Wirtschaft durch eine ökologische Steuerreform so gefördert wird, dass er sozial und ökologisch zukunftsfähig ist. Die Scientists for Future, denen ich angehöre, haben sich deshalb vor einer Woche einen Offenen Brief an die Führer dieser Welt mitunterzeichnet, der vom Club of Rome, dem WWF, dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und dem InterAction Council initiiert wurde. Tenor ist, dass der Kampf gegen Pandemien und der Kampf gegen Klimawandel und Verlust der Biodiversität eng miteinander verzahnt seien und deshalb als eine einzige große Herausforderung gesehen werden müssten.
Ich schließe mit der Bemerkung, dass es bei allen Erneuerungen, die jetzt nötig sind, darauf ankommt, bei sich selber zu beginnen. Das gilt für alle Impulse dieser Woche: Es ist leicht, von anderen zu fordern, sie sollten doch endlich anfangen. Es ist viel mühsamer, sich selbst beim Wort zu nehmen und eigene Schritte der Umkehr zu setzen. Aber nur so kann es gelingen. Das untenstehende Gebet, sinnigerweise aus China, kann uns den Weg weisen.
Ich wünsche euch/ Ihnen allen einen gesegneten Beginn der Heiligen Woche, die uns so, wie sie heuer sein wird, für immer im Gedächtnis bleibt. Herzliche Grüße
Michael Rosenberger
Und fange bei mir an!
Herr, erwecke deine Kirche, und fange bei mir an.
Herr, baue deine Gemeinde, und fange bei mir an.
Herr, lass Frieden überall auf Erden kommen, und fange bei mir an.
Herr, bringe deine Liebe und Wahrheit zu allen Menschen, und fange bei mir an.
(aus China)