Liebe FasenachterInnen im Herzen, die heuer ein besonderes Opfer bringen müssen,
die holländischen Gewaltexzesse der letzten Wochen sind ein eindringliches Warnzeichen. Die Stimmung droht angesichts der weitergehenden Einschränkungen zu kippen und ist zunehmend angespannt – in Österreich deutlich mehr als in Deutschland. „Die Presse“ schrieb am 28.1., die Stimmung sei „durchaus alarmierend“: Nur noch gut ein Drittel der Menschen stimmt den Maßnahmen zu, ein Drittel ist unschlüssig und ein Drittel lehnt sie vehement ab (Umfrage vom 15.-22.1. des Austrian Corona Panel Projects der Universität Wien). Das ist eine Spirale nach unten, aus der wir nur schwer herauskommen.
Ob die Antwort allerdings in Lockerungsmaßnahmen liegt, wie sie Österreich vorgestern beschlossen hat? Nur zur Erinnerung: Die 7-Tage-Inzidenz liegt seit Wochen fast unverändert bei etwas über 100, heute Morgen bei 104. Selbst der harte Lockdown sorgt also nur noch dafür, dass die Zahlen nicht ansteigen – ein Absenken bringen wir nicht mehr zustande. Das kann nur heißen, dass sich viele Menschen nicht mehr an die Vorschriften halten. Zum Vergleich: In Deutschland sinken die Zahlen zwar langsam, aber kontinuierlich,. Heute Morgen lag die 7-Tage-Inzidenz bei 83. Und das bei gleichen Ausgangswerten vor Weihnachten wie in Österreich. Ehrlich gesagt bin ich in großer Sorge, wie wir durch die nächsten 4 bis 6 Wochen kommen. Es wird noch einmal sehr, sehr kritisch.
Doch heute möchte ich ein anderes Thema anschneiden, das auch in Corona-Zeiten nicht unter den Tisch fallen darf: Am Freitag dieser Woche, dem 5.2., findet im Bayerischen Fernsehen unter Corona-Bedingungen die Fastnacht in Franken statt. Ehrlich gesagt kann ich mir noch nicht recht vorstellen, wie das gehen soll. Aber schauen wir mal. Vielleicht werden wir ja positiv überrascht. Natürlich bleibt auch dann viel Wehmut über all die entgangenen Faschingsveranstaltungen, die uns diese „fünfte Jahreszeit“ normalerweise so leicht und froh machen.
Die Fastnacht ist ein uraltes Abschiedsfest, und so, wie sie in Europa in den vergangenen tausend Jahren begangen wird, ist sie ohne die nachfolgende Fastenzeit nicht denkbar: „Am Aschermittwoch ist alles vorbei!“ heißt es in einem Faschingslied. Auf manchen Dörfern kennt man noch das Begraben oder Verbrennen einer Faschingspuppe um Mitternacht von Faschingsdienstag auf Aschermittwoch. Der Karneval ist ein Abschiedsfest, dessen Termin von seinem Ende her bestimmt wird. Ursprünglich war es ein einziger Tag vor dem Aschermittwoch und ein weiterer am Tag vor Beginn der adventlichen Fastenzeit, nämlich dem Martinstag, dem 11.11. Heute haben wir die Faschingssaison auf die gesamte Zeit vom 11.11. bis zum Faschingsdienstag ausgedehnt, mit einer gewissen Ehrfurcht vor dem Advent, der heute nicht mehr 40 Tage lang ist wie früher, sondern nur zwischen drei und vier Wochen, je nachdem, auf welchen Wochentag Weihnachten fällt. Der 11.11. ist also nicht wegen der Schnapszahl entstanden, sondern weil er (ungefähr) 40 Tage vor Weihnachten liegt.
Zunächst widerwillig, dann aber immer bewusster hat die (katholische) Kirche den Fasching zugelassen, ja sich zunehmend aktiv daran beteiligt. Er erinnert uns an die uralte Weisheit aus dem Buch Kohelet: „Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit: eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Abernten der Pflanzen,… eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz.“ (Koh 3, 1-4)
„Fastnacht“ ist wortwörtlich die Nacht vor dem Fasten. „Fasching“ bezeichnet den letzten Ausschank von Alkohol. Und Karneval kommt von lateinisch „carne vale“, „Fleisch, lebewohl!“ Vor dem Aschermittwoch musste alles Fleisch und alles tierische Fett aufgebraucht werden – deswegen das Fettgebackene (Krapfen etc.) als Faschingsgebäck. In den romanischen Ländern heißt der Donnerstag vor Aschermittwoch bis heute der „fette Donnerstag“, weil es da das Fettgebackene gibt. Und dass wir an Martini eine Gans essen, hat denselben Grund: Nach Martini waren Fleisch und Fett bis Weihnachten tabu.
Die Reformation schafft – wir müssen es mit Bedauern feststellen – den Fasching wegen der Ausschweifungen aller Art ab. Sie befreit aber auch vom nachfolgenden strengen Fasten, das ihr zu viel Leistungsdenken enthält. Die katholische Lebensart hingegen folgt weiterhin dem Motto: „Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn. Wenn Fasten, dann Fasten!“ (Theresa von Avila) In den Faschingstagen darf man erlaubterweise „die Sau rauslassen“, wie es die Metzger in Nürnberg bei der letzten Schlachtung vor der Fastenzeit feierlich taten (von ihnen stammt diese Redewendung). Einmal darf man ungestraft über die Stränge schlagen. Das führt zu einer befristeten, aber wohltuenden Entlastung vom Ernst des Lebens und zum Lockerlassen. Das Leben ist mehr als immer nur Arbeiten, ernst sein, streng sein, Leistung bringen.
In der Kirche des Mittelalters gab es schon früh „Narrenfeste“, bei denen kleine Kleriker, nämlich die Buben der kirchlichen Internate, Rang und Privilegien der Bischöfe übernahmen. Es wurde ein Kinderbischof gekürt oder sogar ein Pseudopapst bestimmt und eingekleidet, an dessen Prozession (der Vorläuferin des heutigen Faschingszuges) die BewohnerInnen der Städte teilnahmen. Sich einmal verkleiden und eine andere Rolle spielen dürfen tut gut, ist faszinierend und befreit von den eigefahrenen Bahnen. Das Ritual des Kinderbischofs, das später auch in den Priesterseminaren üblich wurde (im römischen Germanikum ist es bis heute ein König), signalisiert einen Rollentausch in der Hierarchie: Die Unteren sind für einen Tag die Oberen und dürfen Befehle erteilen. Noch heute übernehmen Faschings-Prinzenpaare für einen Tag das Rathaus.
Karneval ist ein Fest der Sehnsüchte des Menschen, nach Freiheit und Grenzenlosigkeit einerseits und nach Beständigkeit und Heimat andererseits. Der Karneval ermöglicht einen Perspektivwechsel, ohne dass Konsequenzen im Hier und Jetzt zu fürchten wären. Was verrückt erscheint, ist gleichzeitig vernünftig: Die Ordnung wird aufgelöst – aber innerhalb fest gefügter Spielregeln (was heuer bedeutet: innerhalb der engen Corona-Regeln) und nur für eine eng begrenzte Zeit. Dann sind alle wieder brav und gehen ein weiteres Jahr verlässlich ihrer Arbeit nach.
Ja, der „normale“ Fasching wird heuer vielen Menschen schmerzlich fehlen. Umso mehr kann uns das Wenige, was über die Telekommunikationsmedien möglich ist, bewusst machen, wie reich und vielfältig unser Leben eigentlich ist. Dass wir das in diesen Tagen spüren dürfen, wünscht euch/ Ihnen
Michael Rosenberger