Liebe Wanderer aus dem Morgenland auf dem Weg zum neugeborenen Kind,
schon nach wenigen Tagen des neuen Jahres dürfte nun wohl auch dem letzten bewusst geworden sein, dass noch beschwerliche Monate vor uns liegen. Die 7-Tages-Inzidenzen steigen anstatt zu fallen – man spürt die Nachwirkungen der Festtage mit offenbar doch zu vielen Familienbesuchen. Deutschland hat gestern strengere und längere Restriktionen beschlossen, und die Kanzlerin lässt bereits durchblicken, dass noch weitere Verschärfungen nötig werden könnten. Nein, wir sind noch lange nicht über den Berg.
An Stelle einer Predigt habe ich die Erzählung des heutigen Evangeliums zum Fest der Erscheinung des Herrn etwas umgedichtet und coronatauglich gemacht. Jetzt lautet sie also folgendermaßen:
Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, siehe, da sahen Sterndeuter aus dem Osten seinen Stern aufgehen. Und obwohl Auslandsreisen in jenen Zeiten der Pandemie nur sehr schwer möglich waren, machten sie sich auf den Weg. Mehrere Wochen wanderten sie durch die Wüste gen Westen. Da die Karawansereien auf Grund der Pandemie niemanden beherbergen durften, der nicht beruflich unterwegs war, und das waren sie ja nicht, mussten sie in ihren mitgenommenen Zelten übernachten. Darin wurde es des Nachts bitter kalt, so dass ihr Atem an den Zeltwänden zu Eis gefror. Jeden Morgen krochen sie völlig steif und unbeweglich aus ihren Decken hervor und brauchten lange, bis die aufgehende Sonne sie halbwegs erwärmte.
Als die Sterndeuter nach Palästina einreisen wollten, mussten sie an der Grenze vierzehn Tage in Quarantäne gehen. Und da es noch keine Testmöglichkeiten gab, um sich nach fünf Tagen freizutesten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als vierzehn volle Tage in ihren Zelten auszuharren. Schließlich durften sie bei Jericho den Jordan überqueren und konnten den steilen Weg nach Jerusalem hinaufziehen. Sie betraten die Stadt und gingen zum Palast des Königs Herodes. Der ließ sie auf Grund der verordneten Hygienemaßnahmen nur in den Vorhof. Er selber stellte sich oben auf einen Balkon und sprach aus der Distanz mit ihnen. Die Sterndeuter fragten ihn: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen. Als König Herodes das hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem. Er ließ die Hohepriester und Schriftgelehrten des Volkes im Palasthof zusammenkommen und sich über den ganzen Hof verteilt so aufzustellen, dass immer zwischen zweien von ihnen ein Babykamel Platz gehabt hätte. Dann erkundigte er sich bei ihnen, wo der Christus geboren werden solle. Sie antworteten ihm: in Betlehem in Judäa; denn so steht es geschrieben bei dem Propheten: Du, Betlehem im Gebiet von Juda, bist keineswegs die unbedeutendste unter den führenden Städten von Juda; denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, der Hirt meines Volkes Israel.
Danach rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich auf die Dachterrasse des Palasts und ließ sich von ihnen genau sagen, wann der Stern erschienen war. Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: Geht und forscht sorgfältig nach dem Kind; und wenn ihr es gefunden habt, berichtet mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige!
Nach diesen Worten des Königs machten sie sich auf den Weg. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen. Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt. Sie legten ihre wundervollen orientalischen Mund-Nasen-Schutzmasken an, gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm.
Als aber der Moment gekommen war, dem neugeborenen Kind ihre Gaben darzubringen, mussten die Sterndeuter der Heiligen Familie gestehen, dass sie mit leeren Händen gekommen waren. Denn sämtliche Geschäfte, sowohl die in ihrer Heimat im Osten als auch die in Jerusalem, waren im Lockdown, und Online-Bestellungen gab es zu dieser Zeit noch nicht, so dass sie dem Kind trotz allen guten Willens nichts anbieten konnten. Da sagte Maria zu ihnen: Ihr habt eine so große Anstrengung unternommen, um uns überhaupt zu besuchen, dass wir euch das höher anrechnen als alle Geschenke, die ihr hättet bringen können. Wochenlang habt ihr im eisig kalten Zelt geschlafen. An der Grenze habt ihr vierzehn Tage die Quarantäne erduldet. Bei Herodes musstet ihr im Vorhof des Palasts stehenbleiben, um mit ihm reden zu können. Und jetzt dürft ihr das Kind noch nicht einmal berühren, sondern müsst es aus großem Abstand betrachten. Eure Masken sind zwar wunderschön, aber sicher hättet ihr euch gewünscht, dass der kleine Jesus eure Gesichter ansehen kann – und nun sieht er nur eure Augen.
Dann trat Josef vor und sagte: Schaut, auf Grund der Pandemie machen wir es umgekehrt. Wir beschenken euch und geben euch ein kleines Bschoad-Binkerl (in Oberösterreich ein „Abschieds-Bündel“, d.h. Brotzeit-Bündel zum Dank für den Besuch und als Stärkung für die Heimreise) mit auf den Weg. Es besteht aus drei Gaben:
- Einem Rucksack voller Müsliriegel, denn für euren langen Heimweg braucht ihr noch einmal viel Ausdauer und Geduld, wie es Jesus später einmal sagen wird: „Auf guten Boden ist der Samen bei denen gefallen, die das Wort mit gutem und aufrichtigem Herzen hören, daran festhalten und Frucht bringen in Geduld.“ (Lk 8,15)
- Einem Pilgerstab, der aus festem Holz geschnitzt ist und euch Trost und Zuversicht schenken soll, wie es im Psalm heißt: „dein Stock und dein Stab, sie trösten mich.“ (Ps 23,4)
- Einem kleines Döschen mit einer winzigen Prise Humor, denn das Kind hat vor Freude gestrahlt und aus voller Kehle gelacht, als ihr hereingetreten seid, und mit Humor kommt ihr besser durch die Krise als mit Wut im Bauch, Zorn im Herzen und zusammengebissenen Zähnen.
Die Sterndeuter nahmen ihre Bschoad-Binkerl entgegen, bedankten und verabschiedeten sich und machten sich auf den Heimweg. Weil ihnen aber im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land.
Liebe Pilgernden in Corona-Zeiten, auch wir haben in den vergangenen Wochen das Kind von Bethlehem aus größerem Abstand anschauen müssen als sonst – unsere Weihnachtsfeiern verliefen in engen Grenzen. Aber auch wir bekommen das Bschoad-Binkerl der Heiligen Familie mit für den Weg in den Alltag und nach Hause in eine Normalität, die hoffentlich in der zweiten Jahreshälfte allmählich einkehren wird. Der Weg dorthin ist noch lang. Aber mit Ausdauer und Geduld, Trost und Zuversicht, Freude und Humor werden wir es schaffen. Das wünscht euch/ Ihnen allen
Michael Rosenberger