die Infektionszahlen sinken unbeirrt weiter – in Österreich ist die Sieben-Tage-Inzidenz schon seit Tagen unter 100, und seit gestern auch in Deutschland. Der Impffortschritt macht es möglich (in Österreich 38% Erst- und 14% Zweitgeimpfte, in Deutschland minimal weniger), kombiniert mit den weiterhin notwendigen Hygiene-Regeln. Wenn nächste Woche in Österreich sowie in den deutschen Landkreisen mit niedriger Inzidenz die großen Lockerungen kommen, wird daher nochmals viel Disziplin nötig sein, das nicht zu sehr auszunutzen und übermütig zu werden. Die Entwicklung der letzten Wochen ist erfreulich, aber labil.
Eine sehr gute Nachricht kommt von den Schulen. Für den Deutschen Schulpreis www.deutscher-schulpreis.de haben sich heuer dreimal so viele Schulen beworben wie in normalen Jahren. Und die Qualität der eingereichten Projekte war angeblich mindestens so hoch wie sonst auch. Dafür gibt es eigentlich nur zwei Erklärungen, und beide sind in uralten Sprichwörtern festgehalten. Zum einen: „Not macht erfinderisch“. In der schwierigen Situation, von einem Tag auf den anderen zum Distance Learning übergehen zu müssen, sind viele Schulen extrem erfinderisch geworden. Die zweite Erklärung dürfte eine wichtige Ergänzung der ersten sein: „Not kennt kein Gebot“. Es gab schlichtweg keine oder nur wenige Vorschriften aus dem Kultusministerium und dem Schulamt – für die LehrerInnen und SchulrektorInnen taten sich ungeahnte Freiräume auf. So nutzten manche Schulen elektronische Lernplattformen der örtlichen Volkshochschule oder des lokalen Museums und waren so Monate schneller als das Ministerium mit einer eigenen Schulsoftware. Andere sammelten im Dorf oder der Stadt ungenutzte Laptops, Tablets und Smartphones, um SchülerInnen aus armen Verhältnissen ein Gerät zur Verfügung zu stellen. Oder der Schuldirektor sendete den Kindern jeden Abend auf Youtube ein Gute-Nacht-Video. – Diese Beispiele zeigen noch etwas: Es ist nicht verantwortungsbewusst, die Lösung aller Probleme von der Regierung zu erwarten. Jeder und jede von uns hat eine Menge Möglichkeiten, die Härten der Pandemie mildern zu helfen.
Weniger gute Nachrichten gibt es von der Impf-Front: Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins Report Mainz werden Arztpraxen und Impfzentren derzeit von Menschen überrannt, die sich mit allen Mitteln impfen lassen wollen. Sie machen falsche Altersangaben, haben angeblich einen besonders relevanten Beruf in der kritischen Infrastruktur oder pflegen einen Nachbarn. Viele reagieren aggressiv, wenn sie dann wieder nach Hause geschickt werden. Und wir reden hier nicht von einigen wenigen, sondern von richtig großen Zahlen: Im Hamburger Impfzentrum sind es 2000 entdeckte VordränglerInnen pro Woche, in Saarbrücken 140 und in München 350. Dabei dürfte die Dunkelziffer hoch sein – viele kommen mit ihren falschen oder geschönten Angaben durch. Dabei bräuchte es doch nur noch wenige Tage oder Wochen Geduld, bis ein ganz normales Impfangebot kommt.
Kirchlich sind die Tage seit Christi Himmelfahrt durch den Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt/ Main geprägt. Leider findet dieser coronabedingt weitgehend im Internet statt und nur für die Menschen der Region Frankfurt in kleinen Präsenzveranstaltungen. So kann ich auch selber nur virtuell daran teilnehmen, obwohl ich in die Planungen für den Themenbereich Schöpfungsverantwortung intensiv eingebunden war. Von dem, was wir in unserer Arbeitsgruppe vorbereitet hatten, kann daher nur wenig realisiert werden. Dennoch erachte ich unsere Arbeit nicht als vergebliche Mühe, denn einerseits habe ich viele interessante Persönlichkeiten der deutschen Kirchen kennengelernt, und andererseits werden viele unserer Impulse die Arbeit der Kirchen in den nächsten Jahren prägen, ohne dass die Veranstaltungen selber stattgefunden haben. – Vielleicht hat ja mancher noch die Gelegenheit, am morgigen Sonntag den Abschlussgottesdienst des ÖKT im deutschen Fernsehen anzuschauen. Es lohnt sich bestimmt.
Vorgestern haben wir Christi Himmelfahrt gefeiert. Es ist das Fest des Abschieds Jesu von seinen JüngerInnen. Ein ähnlicher Abschied rückt auch für mich näher. In zwei Wochen, also Ende Mai, pünktlich zum Dreifaltigkeitssonntag und damit zum Beginn der Zeit im Jahreskreis, werde ich diese Rundmails beenden. Immer vorausgesetzt, dass sich bis dahin die Lage weiter entspannt und sowohl die Impfungen als auch die Lockerungen voranschreiten. Und immer mit der Möglichkeit, dass ich mich erneut melde, wenn die Lage sich wider Erwarten erneut verschärfen sollte. – Die „Gedanken in der Krise“ waren ja von Anfang an für eine ganz bestimmte Situation gedacht, und sobald diese nicht mehr in dem Maße gegeben ist, ist auch hier die Rückkehr zur Normalität angebracht. Zu den Hochfesten versende ich weiterhin meine Predigten, so dass der Draht nicht völlig abreißt. Aber die Intervalle werden jedenfalls viel größer als in den direkten Krisenzeiten.
Als vorletztes Osterevangelium betrachte ich heute die erste Hälfte aus Johannes 21, einem Kapitel, das erst nachträglich an das schon fertige Johannesevangelium angefügt worden ist.
Aus dem Evangelium nach Johannes
21, 1 Danach offenbarte sich Jesus den Jüngern noch einmal, am See von Tiberias, und er offenbarte sich in folgender Weise. 2 Simon Petrus, Thomas, genannt Didymus, Natanaël aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen. 3 Simon Petrus sagte zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagten zu ihm: Wir kommen auch mit. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in dieser Nacht fingen sie nichts. 4 Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. 5 Jesus sagte zu ihnen: Meine Kinder, habt ihr keinen Fisch zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. 6 Er aber sagte zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und ihr werdet etwas finden. Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es. 7 Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei, gürtete er sich das Obergewand um, weil er nackt war, und sprang in den See. 8 Dann kamen die anderen Jünger mit dem Boot – sie waren nämlich nicht weit vom Land entfernt, nur etwa zweihundert Ellen – und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her. 9 Als sie an Land gingen, sahen sie am Boden ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot liegen. 10 Jesus sagte zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt! 11 Da stieg Simon Petrus ans Ufer und zog das Netz an Land. Es war mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen gefüllt, und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht. 12 Jesus sagte zu ihnen: Kommt her und esst! Keiner von den Jüngern wagte ihn zu befragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. 13 Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen, ebenso den Fisch. 14 Dies war schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern offenbarte, seit er von den Toten auferstanden war.
Sieben Jünger gehen gemeinsam auf Fischfang – die heilige Zahl der Bibel, die Zahl der Fülle. Man könnte auch sagen: Alle gehen gemeinsam auf Fischfang, alle, die sich Jesus zugehörig fühlen. Fünf von ihnen werden mit Namen genannt, der sechste wird später als der geheimnisvolle und namenlose Lieblingsjünger identifiziert, der erst in Jerusalem, also in den letzten Tagen oder Wochen des Lebens Jesu zu der Gemeinschaft dazugestoßen ist, und der siebte bleibt völlig unbekannt. Dieser siebte sind WIR. Wenn ALLE auf Fischfang gehen, die zu Jesus gehören, dann gehören WIR dazu!
Es ist Petrus, der das Kommando gibt. Seine Führungsrolle zieht das vierte Evangelium nie in Zweifel, obwohl es fernab von Rom, in Kleinasien, geschrieben ist – an einem Ort, an dem Petrus nie gewesen ist. Und doch gebührt ihm das Wort, das zur Verkündigung des Evangeliums und zum Gewinnen neuer ChristInnen ruft. Der johanneische Petrus braucht nicht einmal befehlen „Geht fischen!“ oder „Gehen wir fischen!“ Es genügt, dass er sagt: „Ich gehe fischen“, und schon gehen alle aus freien Stücken mit. Dir kirchliche Hierarchie, die sich das Johannesevangelium vorstellt, ist eine sehr flache Hierarchie. Allzu viel Macht braucht der Bischof von Rom nicht bekommen – man respektiert ihn auch so!
Die Missionsbemühungen der ersten ChristInnen sind offenbar ziemlich erfolglos. Mit leeren Netzen kehren sie am Morgen heim – keinen einzigen Menschen haben sie gefunden, der getauft werden und in das Netzwerk ihrer Gemeinschaft einbezogen werden möchte. Wir können uns den tiefen Frust der JüngerInnen vorstellen. So begeistert haben sie geworben. So leidenschaftlich haben sie von Jesus erzählt. Und nichts, rein gar nichts ist dabei herausgekommen.
Doch als sie ans Ufer zurückkehren, gibt ihnen ein Unbekannter eine verstörende Aufforderung wider alle Erfahrung. Denn tagsüber schwimmen die Fische tief unten am Grund des Sees, nur nachts kommen sie an die Oberfläche. Wie soll es da möglich sein, tagsüber erfolgreich zu fischen? Das ist doch absurd! Doch der Unbekannte gibt einen Befehl, der keinen Widerspruch duldet. Im Gegensatz zu Petrus, der nur von dem spricht, was er selber zu tun gedenkt, und auf diese Weise alle anderen mitzieht, gibt der Unbekannte einen autoritativen Befehl, bleibt aber selber am Ufer stehen. Die flache Hierarchie zwischen den ChristInnen und Petrus wird überragt von einer steilen Hierarchie zwischen den ChristInnen (einschließlich Petrus) und Christus. Deswegen gehorchen die Jünger dem Befehl sofort, so verrückt er ihnen scheint.
Und es geschieht das Wunder: Die junge Kirche gewinnt AnhängerInnen genau in dem Moment, wo sie das nicht mehr erwartet. Und in einer Menge, die ihre kühnsten Träume übertrifft. 153 große Fische sind im Netz, so viele, wie sich damals Fischarten im See Genesaret befanden. Mission, so interpretiere ich diese Sätze, hat dann Erfolg, wenn sie uneigennützig und absichtslos geschieht; wenn wir als Kirche unseren Dienst selbstlos anbieten, ohne zu fragen, ob jemand Kirchensteuer bezahlt oder jeden Sonntag in die Kirche geht. Unsere Rolle ist es nicht, anderen Menschen mit Autorität Befehle zu erteilen wie der Auferstandene, sondern wie Petrus davon zu sprechen, was wir selber tun, – und darauf zu vertrauen, dass das als Einladung verstanden und angenommen wird.
Der Lieblingsjünger begreift schnell, wer dieser Unbekannte ist, der ihnen den entscheidenden Hinweis gegeben hat – und sagt es zuerst und „unter der Hand“, nur flüsternd, dem Petrus. Der soll es vor allen anderen erfahren. Und wieder lässt der Lieblingsjünger dem Petrus den Vortritt. Er soll als erster ans Ufer kommen und zum Auferstandenen hintreten. Dieses Vorrecht gebührt ihm, und der Lieblingsjünger lässt es ihm so diskret, dass die anderen fünf Jünger es gar nicht bemerken. – Ja, der Bischof von Rom braucht gute „Einflüsterer“, denn er selber kann unmöglich alles aus sich selbst haben. Und diese „Einflüsterer“ bleiben im günstigen Falle unsichtbar. Entscheidend ist nur das eine: Petrus braucht ein Gespür für jene Einflüsterer, die tatsächlich LieblingsjüngerInnen des Herrn sind und das nicht fälschlich von sich behaupten. Und das ist manchmal gar nicht so einfach zu erkennen. Petrus braucht hervorragende Menschenkenntnis.
In unserer Zeit der Kirchenkrise ist dieses Evangelium eine großartige Ermutigung. Die leeren Netze sind kein Grund, enttäuscht aufzugeben und uns zurückzuziehen. Sie sind vielmehr ein starker Impuls, dass wir im Inneren der Kirche die Rollenverteilung zwischen Christus, Petrus, dem Lieblingsjünger und uns neu bestimmen und nach außen in die Gesellschaft hinein das tun, was der Auferstandene uns aufträgt: Uneigennützig und selbstlos zu dienen – im Vertrauen darauf, dass sich dann irgendwann unsere Netze wieder mehr füllen als jetzt.
So grüßt euch/ Sie alle herzlich,
Michael Rosenberger