Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Eine Antwort von Professor Dr. Michael Rosenberger

Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang – welche Tageszeit ist sinnvoll für eine Wallfahrt?

Jugendliche gehen heute am Wochenende erst um 22 Uhr abends oder später in die Disco und kehren entsprechend spät am nächsten Morgen nach Hause zurück. So ein Unsinn, mag mancher denken. Würden sie früher losziehen, wären sie auch eher im Bett. Doch da würden sich die Jugendlichen kaum verstanden fühlen. Ohne ihr Verhalten bewerten zu wollen: Es ist nicht egal, wann man in die Disco geht. Es ist aber ebenso wenig egal, wann man Christmette feiert (Idealziel der kirchlichen Tradition: Mitternacht) oder die Osternacht begeht (laut kirchlicher Vorschrift darf diese erst bei vollständiger Dunkelheit beginnen – eine Regel, gegen die viele Pfarreien verstoßen).

Der Lauf von Tag und Nacht ist der erste, grundlegende Rhythmus der Natur. An ihn bleiben wir auch im Zeitalter der Hochtechnologie maßgeblich gebunden. Unsere biologischen Rhythmen werden zu wesentlichen Teilen vom natürlichen Licht gesteuert. Nicht umsonst nennt die Bibel die Trennung von Licht und Finsternis als erstes Schöpfungswerk Gottes (Gen 1). Insofern ist die Frage nach der zeitlichen Festsetzung von Aufbruch und Ankunft einer Wallfahrt keine Nebensächlichkeit, sondern sehr zentral.

Für den Aufbruch am Morgen eines Wallfahrtstages ist die beste Zeit sicher jene rund um den Sonnenaufgang. Wenn Pilgerinnen und Pilger sich im Dunkeln treffen und in der ersten Dämmerung losgehen, wenn sie auf der ersten Wegstrecke die Morgenröte beobachten und die Sonne aufgehen sehen können, dann wird das, was Aufbruch im Herzen bedeutet, ganz leibhaftig erfahrbar: Das Zusammenkommen im Dunklen vermittelt Intimität und Geborgenheit. Noch ehe der erste Schritt getan ist, kann man das Aufgehobensein in der Gemeinschaft der Wallfahrtsgruppe spüren. Dann aber heißt es aufbrechen, hinausgehen, dem Licht der Sonne folgen. Wer den Sonnenaufgang erlebt, kann nicht sitzen bleiben, sondern muss sich auf die Beine machen.

Umgekehrt sollte der Pilger den Tag auch mit der Sonne beschließen. Wenn es dunkel wird, sollte ein Wallfahrtstag nicht nur im Blick auf das Gehen, sondern auch auf alle anderen Aktivitäten beendet sein. Ein gemeinsamer Tagesrückblick, in dem nochmals der gesamte Tag angeschaut und vor Gott gebracht wird, kann den Tag abrunden. Aber ein Aufbleiben bis spät in die Nacht ist unterwegs nicht hilfreich – das bleibt der Ankunft am Ziel vorbehalten. Dort, am Ziel, wird nach Einbruch der Dunkelheit zumeist eine Lichterprozession stattfinden, und nach dieser kann man zusammen feiern und fröhlich sein, weil der Wallfahrtsweg vollbracht ist. Diese Nacht darf ruhig kurz ausfallen, solange man nur am nächsten Morgen pünktlich im Pilgergottesdienst ist.

Leben mit den Rhythmen von Gottes guter Schöpfung – das kann auf einer Wallfahrt viel unmittelbarer erlebt werden als im Alltag, weil Pilgernde stärker in die Natur eingebunden sind. Trotzdem oder besser gerade deswegen kann auch eine Nachtwallfahrt sinnvoll sein: Losgehen bei Sonnenuntergang, Ankommen kurz vor dem ersten Sonnenstrahl des neuen Tages und Feiern des Gottesdienstes am Wallfahrtsort in den neuen, erwachenden Tag hinein. Eine solche Wallfahrt einer Nacht hat den Charakter eines verlängerten Gangs mit der Osterkerze: Aus dem Dunkel der Nacht in das strahlende Licht des Ostermorgens. Aus der Knechtschaft in Ägypten hinter der Feuersäule her in die Freiheit des gelobten Landes. Aus dem alles verschlingenden Tod dem Auferstandenen folgend in das grenzenlose Leben.