Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Von Professor Dr. Michael Rosenberger

Wallfahrt als „Solidaritätslauf"?

Man meint ja spontan zu wissen, was ein „Solidaritätslauf" ist. Trotzdem habe ich dieses Stichwort erst einmal in eine Internet-Suchmaschine eingegeben. Und siehe, die Ergebnisse überraschten mich. Denn unter www.solidaritätslauf.de firmieren in Deutschland von der Bundeswehr organisierte Läufe zugunsten von bei Auslandseinsätzen traumatisierten oder versehrten Soldaten.

In der Schweiz ist der Begriff unter www.solidaritaetslauf.ch im Umlauf zugunsten von Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung, den „Sans-Papiers". Das Bistum Aachen veranstaltet alljährlich einen Solidaritätslauf für Arbeitslose. Und das Bischöfliche Hilfswerk Misereor wirbt unter dem Motto „Solidarität geht!" für die Organisation von lokalen oder regionalen Solidaritätsläufen zugunsten der Einen Welt. Der Begriff hat also eine erhebliche Spannweite – sowohl von den Trägern als auch von denen her, mit denen man sich solidarisch zeigen möchte.

Die Kirchen sind wesentliche Trägerinnen von Solidaritätsläufen, haben aber keineswegs ein Monopol. Auf demselben Weg unterwegs zu sein scheint in allen Weltanschauungen und Religionen als ein eindrucksvolles Zeichen von Solidarität verstanden zu werden. Menschen, die ihre körperliche Kraft symbolisch für andere einsetzen, vielleicht sogar bis an ihre Grenzen, werden auch in der harten Wirklichkeit etwas für diese Menschen bewegen und in Gang setzen. Und das tun sie in der klassischen Form der Solidaritätsläufe sehr unmittelbar: Meist gibt es Sponsorinnen und Sponsoren, die für jeden gelaufenen Kilometer einen bestimmten Betrag stiften, der dem erklärten Ziel des Laufs zugutekommt. Je mehr Menschen je mehr Kilometer laufen, umso mehr Hilfe wird der genannten Zielgruppe zuteil. Ganz zu schweigen von der medialen Aufmerksamkeit, die sie erfahren, und der gesellschaftlichen Bewusstseinsänderung, die bewirkt wird.

Die Kirche hat es von Anfang an zugelassen, ja gefördert, wenn Gläubige ihre Wall-fahrt als Ausdruck von Solidarität verstanden – auch wenn man das früher anders nannte. Eltern pilgerten für ihre kranken Kinder. Hinterbliebene widmeten ihre Wall-fahrt dem Seelenheil ihrer verstorbenen Angehörigen. Allerdings waren es früher meist individuelle Solidaritäten, die man zum Anlass einer Pilgerfahrt machte. Ganze Gruppen oder Gesellschaften, die mit einem Gang dieselbe Solidarität ausdrücken wollten, gab es eher selten. – Das ist ausgerechnet heute, im Zeitalter der individualisierten Moderne, ganz anders. Solidarität wird gerade nicht mehr als Sache individueller Wahl, sondern gesellschaftlicher Verpflichtung verstanden.

Diesen Paradigmenwechsel haben die Kirchen sehr wohl bemerkt und für ihre Wallfahrtspraxis fruchtbar gemacht. Im geteilten Deutschland war der ökumenische Kreuzweg der Jugend, den es bis heute gibt, von seiner Gründung 1958 bis zum Mauerfall 1989 ein eindrucksvolles Zeichen der Solidarität und Verbundenheit der Christinnen und Christen in Ost und West. Im Westen wurde dabei eine Kollekte zugunsten der Christinnen und Christen im Osten gehalten. Gegenwärtig gibt es zum Beispiel „Wallfahrten für das Leben" – auch diese meist mit einer Kollekte zugunsten von Projekten zugunsten des (ungeborenen) menschlichen Lebens. Wie in jeder Eucharistiefeier ist die Verbindung von Gebet und praktischer Unterstützung keine Instrumentalisierung des Heiligen, sondern eine notwendige und logische Einheit dessen, was untrennbar zusammengehört: Der Glaube an den Schöpfer ist Solidarität mit allen Geschöpfen.

Und jetzt komme ich an einen Punkt, an dem manche Wallfahrtsseelsorger auf-schreien werden: In der Logik des Evangeliums scheint es mir absolut unerlässlich, dass es an jedem Wallfahrtsort eine Spendenmöglichkeit für ein konkretes soziales Projekt gibt. Es geht nicht, dass sämtliche einfließenden Spenden nur zum Erhalt der Wallfahrtskirche verwendet werden. So ehrenwert und wichtig das ist, wäre es doch armselig und unfruchtbar, wenn der Selbsterhalt (fast) alle Mittel der Pilgerinnen und Pilger auffräße. Wo also ist die Solidarität der Wallfahrtsorte? Etwa mit einem Sozialprojekt des Ordens, der den Wallfahrtsort betreut, oder mit einer Wallfahrtskirche in einem armen Land, mit der eine Art Patenschaft eingegangen wird? Ich bin sicher: Die Pilgerinnen und Pilger würden ihre Geldbeutel weiter auftun, wenn sie wüssten, dass ein großer Teil ihrer Spenden einem solchen Projekt zuflösse. Und sie würden den Sinn ihrer Wallfahrt dadurch noch besser verstehen.