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Eine Antwort von Professor Dr. Michael Rosenberger

Was ist beim Aufbruch einer Wallfahrt wichtig?

In dem 2007 erschienenen Kinofilm „Saint Jacques – Pilgern auf Französisch“ von Caroline Serreau macht sich eine bunt zusammengewürfelte Gruppe auf den Pilgerweg nach Santiago. Nachdem sie ein paar Tage miteinander unterwegs sind und sich allmählich auf das Pilgern eingestellt haben, verschwinden sie plötzlich einer nach dem anderen unauffällig hinter einem Felsen. Allerdings tun sie das nicht – wie man denken könnte – in Ermangelung einer Toilette. Vielmehr entleeren sie heimlich und diskret einen großen Teil ihres Rucksacks. Der ist ihnen schlichtweg viel zu schwer.

Ich selber begleite viele Wallfahrtsgruppen. Dabei ist es mir sehr wichtig, dass jeder Teilnehmer seinen Rucksack trägt – den Komfort des Gepäcktransports halte ich für ziemlich unangemessen. Denn wenn alle den Rucksack auf dem Buckel tragen, entdecken sie ganz von selber, wie viel sie mit sich tragen wollen und können. Das Packen des Rucksacks wird zur spirituellen Herausforderung, sich selbst zu beschränken und wirklich nur das Nötigste mitzunehmen. Wir brauchen ja gar nicht so viel! Wallfahren heißt einfach leben.

Und so wie wir in den Rucksack nicht übermäßig viel einpacken, sollten wir auch den Kopf nicht allzu voll haben, wenn wir auf Pilgerschaft gehen. Es ist wichtig sich zu lösen von den Sorgen des Alltags, aber auch von den vertrauten Personen. Doch wird uns heute genau das sehr schwer gemacht – denn es gibt das Handy. Wir können einander theoretisch jederzeit erreichen und die Verbindung halten. Aufbrechen heißt aber die Nabelschnur durchtrennen, sich lösen von den Menschen daheim, von den Aufgaben im Beruf, von allen alltäglichen Vorgängen. Im besagten Film telefonieren die Pilgerinnen und Pilger lange Zeit praktisch jeden Tag mit ihren Verwandten und Freunden. Doch auf diese Weise werden sie nicht frei, können sich gar nicht einlassen auf das Geschehen der Wallfahrt. Erst nach vielen Tagen hören sie mit dem Telefonieren auf. Und so kommt es, dass zwei jugendliche Teilnehmer erst in Santiago erfahren, dass ihre Mutter in der Zwischenzeit verstorben ist. Wie gut, dass sie es nicht wussten – war es doch der sehnlichste Wunsch der Mutter, dass sie die Wallfahrt machen. So können sie nun ihren Tod versöhnt und vertrauensvoll annehmen.

Ein Letztes zeigt der Film, das für einen guten Aufbruch nötig ist: Am ersten Morgen besuchen die Pilgerinnen und Pilger die Kathedrale von Le Puy und schreiben ihre Anliegen auf Zettel, die sie in einen Kasten vor einer Madonna werfen. Manche von ihnen finden das albern, manche schämen sich auch nur zuzugeben, dass sie ein Anliegen haben. Mit der Zeit aber öffnen sie sich und erzählen einander, was sie bewegt hat, die Wallfahrt zu unternehmen. – Wer gut aufbrechen will, sollte sich zumindest für sich ganz persönlich darüber Rechenschaft geben: Was ist es, das mich auf dieser Wallfahrt bewegt? Welche Anliegen, welche Lasten, welchen Dank und welche Bitte nehme ich mit?

Den Rucksack bewusst und sparsam packen – die Bindungen an den Alltag mutig lösen – sich innerlich auf das persönliche Anliegen der Wallfahrt ausrichten – das sind für mich die drei wichtigsten Schritte, ehe es losgehen kann. Den Rest dürfen wir dann getrost in die Hände eines anderen legen. Er wird uns führen. Er wird uns schenken, was er für richtig und gut hält.