Ein wichtiges Übertragungsmedium dieses Trends sind zweifelsohne Erfahrungsberichte in Form von Büchern. Schon im Mittelalter gab es schriftliche Pilgerberichte, und schon damals nahmen sie vielen Menschen ihre Ängste und Bedenken und entfachten ihre Sehnsucht und ihre Lust auf das Pilgern. Aber klar ist auch: Die Bücher bewirken nicht den Trend zur Wallfahrt, sondern der vorhandene, aus ganz anderen Quellen gespeiste Trend sorgt für gute Verkaufszahlen der Bücher. Nicht Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg" sorgte für den Boom des Camino nach Santiago, sondern umgekehrt. Kerkeling war ja erst zu einer Zeit unterwegs, als der Weg schon zahlreich begangen wurde, nämlich rund 15 Jahre nach Beginn des unaufhaltsamen Anstiegs der Pilger/innen-Zahlen. Bücher sind Medien, Mittler von Ideen und Erfahrungen, aber nicht Produzenten derselben. So manipulierbar ist der Mensch dann doch wieder nicht, und schon gar nicht, wenn er wochenlange Mühen und Anstrengungen auf sich nehmen muss. Dafür braucht er andere Motivationen als ein Buch.
Für das Wallfahren an sich braucht man Menschen also kaum begeistern. Wohl aber für eine konkrete, ganz bestimmte Wallfahrt, für die man jemanden als Mitpilger/Mitpilgerin gewinnen möchte. Und da gilt zunächst dasselbe wie bei der großen Santiago-Wallfahrt: Die eigenen Erlebnisse, die man erzählen kann, begeistern am meisten. Sie geben Klarheit über die Anforderungen des Weges, aber auch über die Hilfsmöglichkeiten. Sie lassen die Lust verspüren, die jemand bei der konkreten Wallfahrt erfahren hat, und spiegeln etwas von den spirituellen Bereicherungen wider, die sie geschenkt hat. Wie bei Kerkeling liegt der „Erfolg" eines Pilgerberichts aber immer in dessen schonungsloser Ehrlichkeit. Schönfärberei wird schnell durchschaut. Was zählt, ist eine aufrichtige Bestandsaufnahme mit allen Vor- und Nachteilen, freudigen Erlebnissen und Belastungen.
Bei Gruppenwallfahrten ist ein weiteres ganz entscheidend: Der oder die Umworbene muss den Eindruck gewinnen, in einer Gemeinschaft mit Gleichgesinnten unterwegs sein zu können. Ein einzelner Mann wird sich in einer Gruppe von lauter Frauen kaum wohlfühlen und umgekehrt. Ein einziger Jugendlicher wird sich ein einer Schar von Jungsenior/Jungseniorinnen nicht zuhause fühlen und umgekehrt. Ein eher „kirchenferner" Mensch wird sich unter lauter „Full-Time-Katholiken/innen" nicht beheimaten und umgekehrt. Ein unsportlicher Durchschnittsmensch wird sich unter lauter „Marathon-Pilger" nicht einreihen können und umgekehrt. Wenn man Mitmenschen für die eigene Wallfahrt gewinnen möchte, sollte man also auf jeden Fall prüfen, ob diese gut in die Gruppe passen.
Sollte all dies geklärt sein, der oder die Umworbene aber immer noch Zweifel haben, gibt es ein sehr schönes Mittel, das weiterhilft: Einmal eine Tagesstrecke der Wallfahrt „zur Probe" gehen. Eine Frau aus meiner Mariazell-Wallfahrtsgruppe lädt alljährlich Interessierte dazu ein. Sie nennt das „Mutmachtag". Nicht selten ist das für Neulinge der entscheidende Anstoß zur Teilnahme. „Kommt und seht!" sagt Jesus zu den ersten Jüngern (Joh 1,39). Und sie bleiben den Rest jenes Tages und dann sogar ihres gesamten Lebens bei ihm.
Eines ist freilich unverzichtbar, wenn man jemanden wirklich für eine konkrete Wallfahrt dauerhaft gewinnen will: Die Qualität des spirituellen Angebots muss stimmen. Wenn jemand beim ersten Mal nicht im Innersten seines Herzens angerührt wird, wenn er oder sie auf dem gesamten Weg keinen Moment erlebt, an dem er oder sie Gottes Nähe intensiv wahrnimmt, dann wird er oder sie kaum auf Dauer dabeibleiben. Die Sehnsucht der modernen Menschen nach ganzheitlichen spirituellen Erfahrungen ist hoch. Ob sie das Pilgern als Antwort auf ihre Sehnsucht begreifen können, liegt aber wesentlich an denen, die die Wallfahrt gestalten.