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Eine Antwort von Professor Dr. Michael Rosenberger

Wie sieht die Amtskirche das Pilgern?

Seit rund zwei Jahrzehnten erlebt das Wallfahren einen Boom. Das lässt auch die Bischöfe und den Papst nicht unberührt, im Gegenteil: Hohe Würdenträger der Kirche begleiten Pilgergruppen zu den großen Wallfahrtsorten der Christenheit und kehren nachher selber begeistert und froh gestimmt nach Hause zurück. Und seit Johannes Paul II. ist der Papst mit seinen vie-len Reisen rund um den Globus selbst zu einem ständigen Pilger geworden, wie das der verstorbene Papst immer wieder betonte. Und dennoch glaube ich, dass die Amtskirche den springenden Punkt noch nicht wahrgenommen hat.

Ich will es – ohne damit eine persönliche Kritik abgeben zu wollen – am Beispiel der Predigt von Papst Benedikt XVI. in Santiago de Compostela am 6. November 2010 zeigen. Darin formuliert der Papst unter anderem folgende wunderbaren Sätze:

„Das ist es, was viele Pilger, die nach Santiago de Compostela gehen, um den Apostel zu um-armen, im Innersten ihres Herzens erleben – deutlich bewusst oder in einem Spüren, ohne es in Worte fassen zu können. Die Beschwerlichkeit des Gehens, der Abwechslungsreichtum der Landschaft, die Begegnung mit Personen anderer Nationalität machen sie offen für das, was uns zutiefst und gemeinsam mit den Menschen verbindet: Wir sind Wesen, die auf der Suche sind, Wesen, die der Wahrheit und Schönheit bedürfen, der Erfahrung von Gnade, Liebe und Frieden, Vergebung und Erlösung. Und ganz tief verborgen in all diesen Menschen hallen Gottes Gegenwart und das Wirken des Heiligen Geistes wider. Ja, jeder Mensch, der in sei-nem Inneren still wird und sich von seinen Leidenschaften, Wünschen und unmittelbaren Tä-tigkeiten löst, der Mensch, der betet, den erleuchtet Gott, damit er ihm begegne und Christus erkenne. Wer nach Santiago pilgert, tut das im Grunde, um vor allem Gott zu begegnen, der im Abbild der Majestät Christi ihn bei seiner Ankunft am Portikus der Glorie empfängt und segnet…“

Paradox ist freilich die Schlussfolgerung, die Benedikt aus diesen Beobachtungen zieht. Denn er fordert: „Europa muss sich Gott öffnen, muss ohne Angst heraustreten hin zur Begegnung mit Ihm, muss mit seiner Gnade für die Würde des Menschen arbeiten, die von den besten Traditionen erschlossen worden ist…“

Da tritt Europa seit 20 Jahren in immer größerer Zahl „heraus“ aus dem Alltag, macht sich auf den Camino de Santiago und viele andere Pilgerwege, öffnet sich für den ihm fremd gewor-denen Gott und sein Geheimnis. Aber anstatt sich auf dem Weg zu diesen Menschen zu gesel-len, ihnen Wegbegleitung zu werden und mit ihnen ins suchende, fragende Gespräch zu kommen, wartet die (höhere) Amtskirche am Ende des Weges in Santiago… Dort aber ist das Bedürfnis nach Erneuerung oft bereits gestillt, wenn Pilgernde ankommen. Dort haben sie ihre Wandlungsprozesse und spirituellen Neuorientierungen schon hinter sich. Die passieren unterwegs.

Ich frage mich: Welches Personal stellt die Kirche zur Verfügung, um entlang der kleinen und großen Pilgerwege Seelsorge zu betreiben? Wie viele Priester stellt ein Bistum von der Pfarr-seelsorge frei, damit sie Menschen auf den Pilgerwegen begleiten können? Wie viele kompe-tente, einfühlsame Beichtpriester stehen an den großen Wallfahrtsorten zur Verfügung? In Mariazell, einem der sechs größten Wallfahrtsorte Europas, ist es praktisch keiner – der eine Wallfahrtsseelsorger ist mit den vielen Gottesdiensten mehr als ausgelastet. In Lourdes mag es besser sein, doch insgesamt hat die europäische Kirche kein Konzept, wie sie die strömenden Massen an Pilgerinnen und Pilgern unterwegs und am Ziel wirklich hochwertig und intensiv seelsorglich betreuen soll.

Die Ursache liegt auf der Hand: Wir müssten dafür Altes aufgeben. Um Neues zu gewinnen!

Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Kirche als „pilgerndes Volk Gottes unterwegs“ be-zeichnet. Mehr denn je ist das seit 20 Jahren Wirklichkeit – Suchende, Fragende, Glaubende und Hoffende beleben die alten Pilgerwege. Doch die Hirten bleiben noch zuhause.