Gehen ist ein sehr rhythmisches Tun. Schritt für Schritt „trotten“ wir vor uns hin, oft ohne auf den einzelnen Schritt und seine Anstrengung zu achten. Insbesondere auf ebener oder leicht abschüssiger Strecke kommen wir in einen gleichmäßigen, selbständigen Rhythmus. Genau das tut uns gut. Denn im Grunde sind rhythmisch wiederkehrende Vorgänge ungemein entlastend. Arhythmische Tätigkeiten müssen wir sehr bewusst und mit hoher Aufmerksamkeit steuern. Rhythmische Bewegungen oder Tätigkeiten laufen im Unterbewusstsein ab. Wir können uns ganz in sie hineinfallen lassen und entspannen. Zugleich eröffnen Rhythmen einen sehr naturgemäßen Rahmen, innerhalb dessen sich unsere Kreativität entfaltet. So wie wir eine Melodie ganz anders hören oder spielen, wenn wir ihren Rhythmus gefunden und verinnerlicht haben, wie wir mit der Musik schwingen und durch sie beschwingt werden, so ist es auch bei anderen rhythmischen Vollzügen.
Gehen ist ebenso ein rhythmisches Tun wie Singen. Und wenn der Rhythmus der Füße mit dem Rhythmus der Musik übereinstimmt, wenn wir im Takt eines Liedes marschieren, dann läuft es sich leichter und beschwingter. Das weiß das Militär seit Jahrhunderten und spielt auf langen Märschen die altbekannte Marschmusik. Schon ihr Name sagt, wofür sie geschrieben wurde. Gehen im Rhythmus des Singens – Singen im Rhythmus des Gehens – das beflügelt und schenkt enorme Leichtigkeit. Auch die klassischen Wallfahrtslieder nutzen diese Erfahrung. Eine Wallfahrt ohne Gesang unterwegs wäre armselig und womöglich sogar niederdrückend. Mit Musik aber gehen Wallfahrerinnen und Wallfahrer gleich einen Schritt schneller.
Auch beten kann sehr rhythmisch sein. Genau das gilt für alle wiederkehrenden Gebete, vor allem für Litaneien und den Rosenkranz. Gute Litaneien sind textlich sehr rhythmisch, fast möchte ich sagen poetisch formuliert. Pilgernde brauchen gar nicht allzu genau hinhören, was die einzelne Anrufung sagt – sie antworten eher automatisch mit den immer gleichen Worten. Aber irgendwann bleibt die Aufmerksamkeit bei einer Anrufung hängen, macht sich daran fest und meditiert sie. Dann hat sich die Litanei gelohnt. – Ähnlich auch beim Rosenkranz. Die einzelnen Ave-Maria-Gebete sprechen Betende automatisch, ohne großes Nachdenken. Aber das sogenannte „Geheimnis“ in der Mitte nehmen sie aufmerksam wahr. Es gibt die klassischen Geheimnisse – die freudenreichen, schmerzreichen, glorreichen, lichtreichen und viele mehr (Gotteslob Nr. 33). Ich formuliere jedoch für Wallfahrten immer eigene Geheimnisse, in denen wir einen gehörten Schrifttext vertiefen und weiter bedenken. So habe ich zum Beispiel für die Auferweckung des Jünglings von Naim (Lk 7,11-17) folgende Geheimnisse geschrieben: „der die Witwe voll Mitleid anblickt – der sich im Innersten berühren lässt – der für die Frau das Mögliche tut – der uns neues Leben schenkt – der die Not jedes Menschen sieht.“ Auf diese Weise gewinnt ein gehörter Bibeltext große Tiefe und Intensität und prägt sich tief ins Herz der Wallfahrenden ein.
Es gibt noch ein zweites Gebet im Gotteslob, das wie ein Rosenkranz aufgebaut, aber vom Text her stärker auf Christus orientiert ist: Das Jesus-Gebet von Romano Guardini (Gotteslob Nr. 6/3). Für mich gehört es zu den kostbarsten Gebeten unserer Zeit. Und Menschen, die mit mir auf Wallfahrt gehen, erwähnen oft ausdrücklich, wie dankbar sie für dieses Gebet sind. Es ist eine echte Entdeckung. Leider wird es in der Seelsorge viel zu wenig genutzt.
Ob Wallfahrtslieder, Litaneien, Rosenkranz oder Jesus-Gebet: So wie wir im Rhythmus gehen, so können und sollen wir auch im Rhythmus singen und beten. Nach einigen Tagen auf Wallfahrt warten die meisten Menschen schon ganz sehnsüchtig auf den nächsten Rosenkranz. Auch solche, die ihn zuhause im Alltag nie beten. Denn das Einschwingen ins Gebet verleiht Flügel. Der Weg wird leichter, das Ziel kommt näher. Und Gott mit dem Ziel.